Duisburg Mit den Händen Skulpturen erfassen

Duisburg · "Nah dran" heißt die Tast-Ausstellung, die heute Abend im Lehmbruck-Museum eröffnet wird. Besucher können 24 ausgewählte Skulpturen so wahrnehmen, wie sie der Bildhauer geschaffen hat: Mit den Händen.

 Tast-Erlebnis mit Adam Myjaks "Kopf".

Tast-Erlebnis mit Adam Myjaks "Kopf".

Foto: ralf hohl

Als Besucher geht man normalerweise in ein Museum, um die dort ausgestellten Werke zu betrachten. Im Lehmbruck-Museum kann man darüber hinausgehen. Heute Abend, 19 Uhr, wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe "plastikBAR" die Ausstellung "Nah dran" eröffnet, bei der nicht der Augensinn gefragt ist, sondern der Tastsinn.

Die Ausstellung gestattet dem Besucher anhand von 24 ausgewählten Skulpturen einen neuen Zugangsweg zur Bildhauerei. Man darf und kann die Werke so wahrnehmen, wie sie vom Bildhauer einst geschaffen wurden: Mit den Händen.

Wer die Tast-Ausstellung so erleben will, wie sie gedacht ist, muss sich aus konservatorischen Gründen Handschuhe anziehen. Dann sollte man sich mit einer blickdichten "Schlafbrille" die Augen verdecken. Natürlich empfiehlt es sich, die Ausstellung in Begleitung oder mit einer geführten Tour zu besuchen.

Es ist in der Tat ein besonderes Erlebnis als "Blinder" die ausgestellten Skulpturen zu begreifen. Henry Moores kleine Skulptur "Kopf: Zyklop" fühlt sich beispielsweise wie ein Handschmeichler an. Besonders interessant ist das Ertasten von Tim Ulrichs "Handlesebuch", weil hier die eigenen Hände auf vom Künstler gestaltete Hände treffen. Waldemar Grzimeks "Liegender Junge" liegt tatsächlich auf dem Boden.

Der Ertaster muss sich entsprechend hinabbeugen, um die Strukturen und Rhythmen der figürlichen Plastik zu erfassen. Das gilt auch für eine Arbeit, die jahrelang im Museumsdepot gelagert wurde und nun für die Tast-Ausstellung ausgewählt wurde, bevor sie gänzlich dem Vergessen anheimfiel: "Rocko" heißt sie. Es ist das Ganzkörperporträt aus Gips eines heute offenbar unbekannten Künstlers, der sich, gekleidet im Arbeitsdress und mit Stiefeln, schlafend modelliert hat. Wer "blind" mit seinen Händen den Kopfbereich ertastet und dort etwas Gekräuseltes spürt, hat den beachtlichen Bart des Porträtierten erreicht.

Die Arbeiten, die für die Tast-Ausstellung ausgewählt wurden, spiegeln in geraffter Form 100 Jahre Bildhauerei wider. Die Spanne reicht vom berühmten "Männeken piss" aus dem Jahr 1908 von August Kraus bis hin zu den abstrakten, aus Kunststoff gefertigten "Trahstones" von Wilhelm Mundt aus dem Jahre 2010.

Zu ertasten sind große und kleine Skulpturen, raue und glatte Oberflächen, harmonische und diffuse Strukturen, gerundete und spitze Formen. Ein Ausstellungserlebnis sollte man im Alleingang ansteuern: In einem vollständig abgedunkelten Raum befinden sich sechs Skulpturen, die auf einem durchgehenden Bord befestigt sind. Während man sich im Uhrzeigersinn langsam an einer Balustrade entlang durch den Raum bewegt, erreichen die ausgestreckten Hände sechs unterschiedliche Skulpturen zum Ertasten.

Außerhalb des Raumes kann man die Fotografien der sechs bildhauerischen Werke sehen, die man zuvor nur haptisch hat wahrnehmen können. — Die Ausstellung richtet sich an alle Besucher. Sie bietet darüber hinaus Menschen mit Sehbehinderungen, für die das Lehmbruck-Museum regelmäßig Sonderführungen anbietet, ein besonders breites Spektrum an neu ausgewählten Werken, die zum Ertasten freigegeben wurden. Bei der Ausstellungseröffnung heute Abend kann man übrigens an einem kleinen "Tast-Wettbewerb" teilnehmen.

Die Ausstellung "Nah dran", die von Sybille Kastner und Claudia Thümler konzipiert wurde, kann bis zum 25. August im Lehmbruck-Museum besucht werden.

(RP/rl)
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