Duisburg Loveparade: Viele Verletzte unter Drogen

Duisburg · Eine Studie über die klinischen Erfahrungen nach der Loveparade-Katastrophe kommt zu dem Ergebnis, dass die medizinische Versorgung nahezu optimal funktioniert hat. Erstmals liegen genaue Zahlen über die Verletzungen vor. Künftige Großveranstaltungen können Lehren daraus ziehen.

Jahrestag: Duisburg trauert um Loveparade-Opfer
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Für Nothelfer ist der MANV die Horrorvision schlechthin — der Massenunfall mit Verletzten. Die Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten und rund 500 Verletzten war ein MANV der höchsten Stufe 4, vergleichbar etwa mit dem Unglück beim Roskilde-Festival im Jahr 2000 (neun Tote, 43 Verletzte).

Obwohl diese Unfälle am schwierigsten zu bewältigen sind, existieren kaum verwertbare Analysen. "Im Fall der Loveparade hatten wir dagegen eine Fülle von Patientendaten", sagt Ole Ackermann, Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Klinikum Duisburg. Gemeinsam mit Kollegen wertete er das Material für das "Deutsche Ärzteblatt" aus. "Damit können wir Medizinern für ähnliche Szenarien etwas an die Hand geben."

So habe es sich laut Ackermann beispielsweise ausgezahlt, dass die Ärzte vorab speziell geschult wurden, wie Patienten unter Drogeneinfluss zu behandeln sind — bei 140 Patienten (29,6 Prozent) wurde Rauschmittel-Missbrauch (zumeist Alkohol) diagnostiziert. Damit war dies die am häufigsten gestellte Diagnose. "Allerdings waren nur sehr wenige Personen direkt dadurch gefährdet", sagt Ackermann. Vielmehr hätte es manchmal an der nötigen Kooperation gefehlt. Erst an zweiter Stelle stehen Verletzungen der Extremitäten (131 Patienten), wobei auch mehrere unterschiedliche Diagnosen bei einer Person in die Studie einflossen.

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Es gab viele Leicht- und nur wenig Schwerverletzte (vier Prozent). Für die Kliniken hieß das, es mussten viele Patienten in kurzer Zeit bewältigt werden. "Dabei ging es darum, zuverlässig und schnell schwere Verletzungen auszuschließen", erklärt Ackermann. Gerade die Ärzte im Tunnel leisteten dabei sehr gute Arbeit. Mehr als 30 Sekunden Diagnose für einen Patienten seien kaum möglich gewesen, erzählt Frank Marx, Leitender Notarzt am Unglückstag und einer der Autoren der Studie. "Man durfte sich nicht an einem Verletzten festhalten, sonst war man für die anderen verloren", sagt er. Seine Kritik: Ein Notkrankenhaus vor Ort für die Leichtverletzten hätte Kosten gespart. Denn 73 Prozent der Patienten wurden nach 24 Stunden wieder entlassen. Das schlug mit 520 000 Euro zu Buche — eine Notklinik hätte laut Marx nur 50 000 Euro gekostet.

Trotzdem ausreichend war für die Autoren die medizinische Vorbereitung auf dem Party-Gelände mit unter anderem 30 Sanitätsstationen sowie in den Kliniken mit doppelter Personalbesetzung. Im Ergebnis bewerten die Ärzte alle getroffenen Maßnahmen als angemessen. Die Behandlung der Patienten sei "nahezu optimal" gewesen. Ackermann: "Bemerkenswert war die Tatsache, dass viele Krankenhausmitarbeiter spontan zur Unglücksstelle fuhren und Hilfe leisteten." Auch dass Besucher Verletzte unterstützten, sie beispielsweise beruhigten, sei sehr effektiv gewesen. Insgesamt waren in der Spitze 4000 Retter vor Ort. In den Kliniken kam es erst zwei bis drei Stunden nach der Massenpanik zur Spitzenbelastung von 20 Patienten pro Stunde. "Es gab jedoch keinen Stau", erinnert sich Ackermann, der die Arbeit im Klinikum Duisburg koordinierte. Gerade solche Abläufe könnten Krankenhäuser bei der Planung optimieren. "Die meisten fangen bei solchen Megaveranstaltungen doch bei Null an", so Ackermann.

Um für Großereignisse gerüstet zu sein, mahnen die Autoren außerdem eine realistische Planung bezüglich der erwarteten Teilnehmer-Zahl an. Die Erfahrung, dass bei der Loveparade zunächst übertrieben hohe Zahlen angegeben wurden, könne in der Zukunft dazu führen, Behandlungskapazitäten zu niedrig anzusetzen. Das sei gefährlich. "Schon in der Planungsphase muss medizinischer Sachverstand daher stärker als bisher berücksichtigt werden", bilanziert Notarzt Marx.

(RP)
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