Jüdische Gemeinde in Duisburg Lieber ohne Kippa unterwegs

Duisburg · Alexander Drehmann, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Duisburg, Mülheim, Oberhausen, und Rabbiner David Mosche Geballe, spüren Verunsicherung angesichts antisemitischer Vorurteile oder gar Hetze.

 Rabbiner David Mosche Geballe trägt eine Kippa.

Rabbiner David Mosche Geballe trägt eine Kippa.

Foto: Peter Klucken

David Mosche Geballe, seit September 2017 Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg, Mülheim, Oberhausen, musste schon schlucken, als ihm ein Schüler folgende Szene berichtete: Auf einem Bolzplatz versemmelte ein jugendlicher Fußballspieler eine Torchance, woraufhin er von einem Mitspieler mit den Worten beschimpft wurde: "Bist wohl blind, du Jude!".

Riesenwut war bei diesem Ausdruck wohl nicht dabei; der erfolglose Fußballspieler war auch gar kein Jude. Aber dass "Jude" als Schimpfwort benutzt wurde, sei doch bezeichnend, sagt Rabbiner Geballe. Man müsse nichts dramatisieren, aber antisemitische Vorurteile oder gar Hetze kämen leider recht häufig vor.

Einen Vorfall wie der vor einigen Wochen in Berlin, als ein junger Muslim einen Mann, der eine Kippa trug, verprügelte, mussten Rabbiner Geballe und Alexander Drehmann, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, hier noch nicht erleben.

Dennoch spüren die beiden in ihrer Jüdischen Gemeinde, die 2500 Mitglieder zählt, ein "mulmiges Gefühl". So eine Attacke wie die in Berlin möchte Drehmann vermeiden. "Mit Kippa gehe ich nicht nach draußen. Wozu soll ich ein solches Risiko eingehen?", sagt er. Die Kippa trägt er nur beim Besuch der Synagoge; so, wie es für alle Besucher des jüdischen Gotteshauses vorgeschrieben ist.

Auch Geballe ist vorsichtig. Obwohl für ihn als Rabbiner das Tragen einer Kopfbedeckung selbstverständlich ist und zum Alltag gehört, bevorzugt er mittlerweile eine neutrale Mütze anstelle einer Kippa, die er selbstverständlich in der Synagoge trägt. "Besonders wenn ich mit meiner dreijährigen Tochter unterwegs bin, trage ich keine Kippa, weil ich es als sehr schlimm empfände, wenn mich irgendjemand deswegen im Beisein meiner kleinen Tochter beschimpft", sagt er klipp und klar.

Höchst bedenklich findet Rabbiner Geballe, dass einige seiner Schüler zwar am Unterricht "Jüdische Religionslehre" teilnehmen, aber nur unter der Hand. Das heißt, sie wollen nicht, dass dies im Schulzeugnis vermerkt wird. Dazu muss man wissen, dass Rabbiner Geballe jüdische Schüler bis zum Abitur unterrichten und Noten vergeben kann, die unter Umständen auch den Zeugnisdurchschnitt verbessern können. Geballe weiß, dass einige Schüler aus Furcht vor Ausgrenzung den jüdischen Religionsunterricht nicht vermerkt haben wollen.

Als unerträglich empfindet es Alexander Drehmann, wenn die Flüchtlingsproblematik mit der Antisemitismus-Debatte verquickt wird. "Flüchtlinge sind nicht per se gute oder schlechte Menschen, sie sind schlichtweg Menschen", sagt er. Er sehe zwar, dass beispielsweise in Syrien der Antisemitismus besonders gefördert werde, doch bedeute dies nicht, dass man auf den Beifall von Pegida-Anhängern und anderen rechtsradikalen Gruppen hoffe, die pauschal gegen Flüchtlinge hetzten.

Antisemitisches Gedankengut durchzieht nach Einschätzung von Drehmann und Geballe die gesamte Gesellschaft, einfache Leute ebenso wie die Elite. Immer wieder würden dabei Politik und Glaube vermischt. Ein erschreckendes Beispiel habe ein Richter in Wuppertal geliefert. Dort wurden Täter ermittelt, die eine Synagoge beschmiert hatten. Der Richter wertete das nicht als antisemitische Tat, sondern als Kritik an der israelischen Politik.

Als skandalös werten Drehmann und Geballe die Karikatur nach dem israelischen ESC-Sieg in der Dienstagausgabe der Süddeutschen Zeitung, von der sich viele an Zeichnungen im „Stürmer“ der Nazis erinnere. Wenn Drehmann davon erzählt, platzt ihm fast der Kragen. "Ich glaube, dass antisemitische Tendenzen immer ein Anzeichen dafür sind, wenn in der Gesellschaft etwas schief läuft", sagt der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde.

Beim Gespräch mit unserer Redaktion wollten die beiden aber nicht nur klagen. Als vorbildlich bezeichnen Geballe und Drehmann die Verbindung der Jüdischen Gemeinde mit beiden großen Kirchen in Duisburg und auch mit der Stadtspitze. Sowohl Oberbürgermeister Sören Link als auch Dezernent Thomas Krützberg hätten stets ein offenes Ohr für die Jüdische Gemeinde.

Nach dem Berliner Vorfall hätten auch "ganz normale Duisburger" ihre Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde bekundet. In Mülheim gab es sogar eine entsprechende Unterschriftenaktion. Besonders sympathisch fand Drehmann die Kippa-Aktion in Köln, weil diese von Nicht-Juden initiiert worden war.

Ein schönes Beispiel für menschliches Miteinander biete der Jüdische Kindergarten. Dort spielen jüdische, christliche und muslimische Kinder zusammen und werden aufs Leben vorbereitet. So soll es sein.

(pk)
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