Syrische Geflohene in Duisburg Radikalisierung am Küchentisch

Duisburg · Über den 26-jährigen Mann, der im Verdacht steht, einen 35-Jährigen getötet und wenige Tage später vier Männer in einem Fitnessstudio zum Teil lebensgefährlich verletzt zu haben, ist wenig bekannt. Vielen Flüchtlingen gelingt die Integration – warum bei einem von 11.563 Syrern in Duisburg nicht?

Die Duisburger Altstadt am unteren Ende der Münzstraße. Hier hatte der Tatverdächtige gewohnt, beide Tatorte liegen in unmittelbarer Nähe.

Die Duisburger Altstadt am unteren Ende der Münzstraße. Hier hatte der Tatverdächtige gewohnt, beide Tatorte liegen in unmittelbarer Nähe.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Insgesamt 11.563 Menschen aus Syrien leben zurzeit in Duisburg. Was wir über sie wissen, sollte eigentlich Mut machen: Viele von ihnen wollen Deutsch lernen, sich integrieren, arbeiten, auf Dauer in Deutschland leben.

Marijo Terzic und sein Team vom kommunalen Integrationszentrum (KI) der Stadt wissen das aus eigener Anschauung. Eine kurz- bis mittelfristige Rückkehr der allermeisten syrischen Flüchtlinge erscheint ausgeschlossen, heißt es von den für die Integration zuständigen Mitarbeitern der Stadt. Insbesondere Familien, die einen sicheren Aufenthaltsstatus erlangt haben, sähen ihre Zukunftsperspektive in Deutschland, so ihr Tenor.

„Sie sind äußerst dankbar für diese Chance und es werden große Bemühungen angestellt, sich zu integrieren“, heißt es. Das gilt aber nicht für alle. Und schon gar nicht für den 26-jährigen tatverdächtigen Maan D., der bislang den Behörden gegenüber über seine Motive so beharrlich geschwiegen haben soll.

Er hatte im April 2016 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Doch irgendetwas muss in den vergangenen Jahren passiert sein, das ihn möglicherweise radikalisiert hat. Entsprechendes Material haben die Behörden bei ihm entdeckt, auch die Auswertung von Mobiltelefonen soll dabei eine Rolle gespielt haben.

Es ist aber sicher nicht immer ausschließlich das Internet, das Menschen radikal werden lässt. „Es kommt vor, dass Männer aus dem Umkreis von Moschee-Gemeinden in Parks junge Männer ansprechen. Sie sollen aufhören zu kiffen und lieber in die Moschee kommen, wird ihnen dann gesagt“, berichtete Burak Yilmaz kürzlich in einem Interview des WDR. Ob es hier so war, bleibt offen. Im RP-Interview erklärte der Pädagoge, Duisburg sei „ein Paradebeispiel für Islamisierungsphantasien“.

Jochen Hippler, Politikwissenschaftler, Friedensforscher und Islam-Experte der Universität Duisburg-Essen, hatte schon bei früheren Vorfällen vor der Gefährlichkeit von radikalisierten Kleinstgruppen oder Einzeltätern gewarnt. Denn die „Radikalisierung am Küchentisch“ ist aufgrund fehlender Vernetzung und Sozialanbindung der Täter im Vorfeld präventiv nur sehr schwer auszumachen.

Die Münzstraße in der Duisburger Altstadt hat dort, wo der 26-jährige Syrer gewohnt hat, einen besonders morbiden Charme. Während der „Knüllermarkt“ schräg gegenüber Palmen in der Fußgängerzone aufgestellt hat und die „MyWellness“-Filiale im ehemaligen C&A-Gebäude einen Hauch von Luxus verbreiten will, sprechen andere Immobilien mit leer stehenden Ladenlokalen und zugeklebten Schaufenstern eine andere Sprache.

Die Nachbarn, so heißt es, kannten den jungen Mann lediglich vom Sehen. Er habe nie gegrüßt, sagt ein ukrainisches Paar, das nebenan wohnt. Hat er Freunde, Bekannte, Verwandte? Mit wem hatte er Umgang? Darüber ist nicht viel bekannt. Auch nicht, ob die Tötung des 35-Jährigen, die ihm zur Last gelegt war, einer zufälligen Begegnung entsprang oder ob die beiden sich kannten.

In den städtischen Anlaufzentren für Geflüchtete arbeiten hauptsächlich Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Sie sind naturgemäß keine Spezialisten bei der Erkennung erlittener Traumata oder psychischen Erkrankungen. Mögliche Hinweise darauf, zum Beispiel auch auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PSB), würden aber „sehr ernst“ genommen, heißt es seitens der Stadt. Seelische Verletzungen durch Kriegshandlungen, erlebte Folter, den gewaltvollen Tod von Familienangehörigen oder den hier teilweise erlebten sozialen Abstieg seien durchaus vorhanden.

Doch diese traumatisierten Menschen, die eigentlich behandelt werden müssten, brauchen Geduld. Wartezeiten bis zu einem Jahr, mindestens aber von sechs Monaten, seien häufig die Regel. Erschwert werde die Situation zudem dadurch, dass Sprachbarrieren bestehen und häufig ein Angebot an mehrsprachigen Psychologen und Therapeuten fehlt.

Die Stadt Duisburg ist bemüht, engmaschige Begleitung anzubieten. Austausch finde „in vielen gesellschaftlichen Feldern“ statt, sei es im Sport, im kulturellen, pädagogischen oder nachbarschaftlichen Kontext. „Das gilt nicht nur für die syrische Community, die im Übrigen sehr heterogen ist, sondern gleichermaßen für alle migrantischen Communitys“, heißt es seitens der Stadtverwaltung.

Es gibt ein breites Integrationsangebot für Geflüchtete in Duisburg. Fast 20 zertifizierte Anbieter bieten rund 50 Kurse an. Dabei geht es auch um Alphabetisierung und Berufsorientierung; integrierte Sprachkurse laufen in der Regel über 600 Stunden. An der Volkshochschule laufen in diesem Frühjahrssemester 184 Deutschkursmodule und Prüfung mit 1395 Teilnehmenden. Davon haben 214 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die syrische Staatsangehörigkeit. Ob der 26-Jährige dazu gehört oder gehörte, bleibt zunächst unbekannt. Sprachkurse speziell für syrische Flüchtlinge gibt es in Duisburg jedenfalls nicht.

Bei der Anerkennung von Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen gibt es oft dicke Bretter zu bohren. Beim „Integration Point“ des Jobcenters in Duisburg gibt es eine entsprechende Anerkennungsberatung. „Die politischen Konflikte und die Krisen insbesondere in Syrien haben dazu geführt, dass Menschen ihre Bildungsunterlagen und Zertifikate verloren haben oder nicht in der Lage waren, ihre Abschlüsse zu verifizieren. Dies hat die Anerkennung von syrischen Bildungsabschlüssen zusätzlich erschwert“, heißt es vom Jobcenter.

Für syrische Flüchtling ist es demzufolge schwer, Fuß zu fassen und sich zu integrieren. Aber es gibt entsprechende Begleitung und Angebote – und vielen ist es bereits gelungen, die Sprache zu lernen und einen Beruf auszuüben. Bei dem 26-Jährigen ist dies scheinbar misslungen.

Wie sich eine Radikalisierung verhindern lässt, ist ebenso offen wie umstritten. Lamya Kaddor, in Westfalen geborene Religionspädagogin mit syrischen Wurzeln, Islamwissenschaftlerin und Duisburger Bundestagsabgeordnete der Grünen, setzt auf einen aufgeklärten, liberalen Islamunterricht. Nach einer Pause von knapp zwei Jahren kehrt sie in dieser Woche wieder ans Landfermann-Gymnasium in Duisburg zurück. Sie will dort wieder unterrichten und mit ihren Schülern ins Gespräch kommen. Die Messerattacken dürften dabei ein Thema sein.

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