Duisburg In Stille und Würde

Am Samstag werden im Unglückstunnel der Loveparade die Trauerbeigaben eingesammelt. Würdevoll soll der Ort der Katastrophe geräumt werden, in dem dann eine Bronzetafel an die Toten erinnert

Loveparade 2010: Kerzenmeer am Unglückstunnel
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Loveparade 2010: Kerzenmeer am Unglückstunnel

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Es gibt es kein Sechs-Wochen-Amt in der Salvatorkirche für Prominente, keine Feier mit Reden und symphonischer Musik. Aber noch vor Sonnenaufgang wird am kommenden Samstag im Karl-Lehr-Tunnel die Tafel angebracht sein, mit der an die Loveparade-Katastrophe erinnert wird.

Gegen 15 Uhr beginnt dort das Einsammeln der Trauerbeigaben, die in den vergangenen sechs Wochen am Unglücksort niedergelegt worden sind und die in einem Glaskubus an der Wegner Straße in Neudorf, also am östlichen Tunnelausgang, ihren endgültigen Aufbewahrungsort finden sollen. Biologische Beigaben, also Blumen und Kränze beispielswiese kommen nicht in das Glasgefäß, weil ihr natürlicher Zerfall alle anderen Inhalte beschädigen oder zerstören würde.

Von den Kränzen werden lediglich die Trauerschleifen bewahrt. Geplant ist eine ruhige, würdevolle Aktion, die gegen 19 Uhr enden soll. Dass jeder Meter zwischen dem Ort des furchtbaren Unglücks und dem der Erinnerung an der Wehnerstraße für emotionale Distanz sorgen wird, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Doch Abstand kann hilfreich sein, um mit Trauer, Betroffenheit, Wut und Verachtung weiterleben zu können.

Ein roter Teppich

Doch lässt sich die Besonderheit dieses Ortes überhaupt konservieren? Im Tunnel riecht es nach Kerzen. Das Warnschild, es könne wegen des Wachses glatt sein, ist verzichtbar. Denn der weitaus größte Teil der roten Grableuchten, Teelichte und Laternen ist längst erloschen, das ausgelaufene Wachs gehärtet. In Höhe der Rampe, dort, wo die 21 Loveparadebesucher den Tod fanden, breitet sich ein rotes weitgehend erloschenes Lampenmeer aus.

Keiner scheint hier seit dem verhängnisvollen 24. Juli auf die Idee gekommen zu sein, auch nur eines der dunklen, roten Plastikgehäuse zur Seite zu schieben. Alles, was auf den Bürgersteigen rechts und links der Tunnelwände liegt, hat weniger materiellen Wert. Sondern es ist Ausdruck der Anteilnahme, der Wut, des Entsetzens, der Hilflosigkeit. Das Perlenarmbändchen, der kleine Kuschelteddy, die blauen Leggins und das knappe T-Shirt — sie strahlen aus, dass hier jemand ein Zeichen setzen wollte.

Verwelkte Blumen, erloschene Grablichter

Ob diese Gegenstände den Verstorbenen gehört haben oder anderen Besuchern der Loveparade, die heil aus dem Gedränge herausgekommen sind? Die Antwort ist bedeutungslos. Denn alles, was nach dem 24. Juli im Tunnel abgelegt worden ist, legt sich wie ein Band zwischen den Tag der Katastrophe und der Zeit danach. Aus dem Rahmen fallen 21 langstielige Rote taufrische Rosen. Vielleicht hat sie einer der Besucher mitgebracht, die gerade den Tunnel verlassen und von denen es Tag für Tag noch immer viele gibt. Ob sie auch kommen, wenn der Ort des Gedenkens ein anderer ist als der Ort der Katastrophe?

Zwischen verwelkten Blumen, erloschenen Grablichtern und verwelkten Kränzen liegen die niedergeschriebenen Worte, die zum Ausdruck bringen, was die Besucher nach der Katastrophe gedacht und gefühlt haben, manche hilflos gekritzelt, manche gut überlegte und ausformulierte Notiz. Selbst der in Poesiealben so oft zu findende Spruch von verwelkenden Rosen, Tulpen und Nelken wirkt an diesem Ort des Todes gar nicht mehr banal.

Hass und Wut

Auch der Brief eines Besuchers, der dankt "dass ich heil nach Hause gekommen bin", sorgt für einen Kloß im Hals. All diese Dokumente in den Glaskubus zu legen, wird ein Leichtes sein. Doch werden auch jene schriftlichen Äußerungen eingesammelt, die von tiefem Hass und grenzenloser Wut gekennzeichnet sind? Von Hass auf die Verantwortlichen und Wut auf die, die die Loveparade organisiert und durchgeführt haben? Sie richten sich überwiegend gegen einen, gegen OB Sauerland. Es würde dem Gedenken nicht gerecht, sie auszusortieren.
Ab Sonntag wird der Unglückstunnel wieder das sein, was er jahrzehntelang war: eine Auto- und Fußgängerverbindung zwischen Neudorf und dem Dellviertel — vor dem 24. Juli bedrohlich, doch seit dem Tag der Katastrophe noch um Vieles mehr.

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