Duisburg Gewagte Operation rettete "Omas" Leben

Duisburg · Rund 2500 Patienten hat Kerstin Jurczynski. Ob im Januar, im Juli oder im Oktober, ob montags oder freitags – an dieser Zahl ändert sich übers Jahr so gut wie nichts. Anders als ihre Kollegen in Kleintierpraxen hat es die 36-Jährige überwiegend mit kerngesunden Zwei- oder Vierbeinern, kriechendem, fliegendem und schwimmendem Getier zu tun.

Rund 2500 Patienten hat Kerstin Jurczynski. Ob im Januar, im Juli oder im Oktober, ob montags oder freitags — an dieser Zahl ändert sich übers Jahr so gut wie nichts. Anders als ihre Kollegen in Kleintierpraxen hat es die 36-Jährige überwiegend mit kerngesunden Zwei- oder Vierbeinern, kriechendem, fliegendem und schwimmendem Getier zu tun.

Manche Exemplare hat sie auf die Welt geholt und begleitet sie, bis sie in die ewigen Jagdgründe eingehen. Kerstin Jurczynski ist Tierärztin im Duisburger Zoo. Ein Traumjob? Manchmal zumindest, oder wie sie es selbst sagt, "immer dann, wenn es um die Tiere geht und nicht um die vielen bürokratischen Zusatzaufgaben".

Die gebürtige Duisburgerin hat sich mit Beharrlichkeit, Durchsetzungsvermögen und großem Können und Wissen diese Position erarbeitet. Über ein hart erkämpftes Praktikum in Hagenbecks Tierpark, über monatelange Arbeit in einem amerikanischen Safaripark, über einen Vertrag im Heidelberger Tiergarten kam sie 2008 an den Kaiserberg und damit in einen der artenreichsten Zoos Deutschlands.

Diese Vielfalt ist es, die sie begeistert. Und das Unbekannte: "Unserem neuen Kurzschnabeligel musste ich Blut entnehmen. Aber an welcher Stelle macht man das bei diesen Tieren, die aussehen wie Pfannkuchen mit Stacheln?" Gespräche mit Kollegen hätten ihr nicht weitergeholfen, weil kaum ein Zoo diese Exoten besitzt. Erst nach langer Suche fand sie in der Literatur Hinweise darauf, dass sich hinter der Nase eine höhlenartige, mit Blut gefüllte Ausbuchtung befindet, "die ich dann regelrecht anzapfen konnte". Dem Patienten geht es übrigens prächtig.

Leckerchen zur Belohnung

Der überwiegende Teil ihrer Patienten kennt Kerstin Jurczynski "und ist nicht begeistert, wenn ich komme, weil mit meinem Besuch oft Unangenehmes einhergeht." Egal ob eine Wurmkur verordnet werden muss, Ungeziefer aus dem Fell zu entfernen ist oder auch nur ein Gesundheitscheck ansteht, ihr Besuch ist für die Tiere schon allein darum Stress, weil ihnen ein Mensch näher kommt, als es ihnen angenehm ist.

Nur wenige Tiere lassen sich auf den Besuch vom Doktor so gut vorbereiten wie zum Beispiel die Gorillas, Elefanten oder Delfine. Sie haben gelernt, dass jede Untersuchung mit einem Leckerchen verbunden ist. Der mächtige Gorillamann Mapema kommt darum freiwillig ans Gitter, wenn sich Frau Doktor nähert. Angst vor den Begegnungen mit den großen und/oder sehr gefährlichen Tieren hat sie nicht, wohl aber Respekt. Vor allem aber hilft ihr bei der Arbeit ihr großes Wissen über die Psyche und Physiognomie der Patienten.

Wenn es ihre Zeit erlaubt, geht Kerstin Jurczynski täglich durch das große Gelände am Kaiserberg, schaut nach ihren Schützlingen und spricht mit den Revierpflegern. Denn sie verbringen so viel Zeit mit ihren Schützlingen, dass ihnen jede kleine Blessur sofort auffällt. In der überwiegenden Zeit kann sich Kerstin Jurczynski auf Prophylaxe konzentrieren.

Dank vorbeugender Behandlung sind die meisten Tiere am Kaiserberg kerngesund und erreichen ein biblisches Alter. Seehunddame "Oma" beispielsweise (früher hieß sie "Baby") ist 1974 geboren worden und lebte seit 35 Jahren am Kaiserberg. "In der Natur werden Seehunde selten älter als 20 Jahre."

"Oma" ist immer noch topfit. Selbst eine schwere, schmerzhafte Augenerkrankung hat daran nichts geändert. "Weil sie unerträgliche Schmerzen hatte und es keine Behandlungsmöglichkeit mit Heilungsaussichten gab, mussten wir uns entscheiden, ob wir die Augen entfernen oder das Tier einschläfern. "Oma" wurde operiert, ist zwar seitdem blind, aber voll in die Seehundgruppe integriert.

Kerstin Jurczynski hat für Vorträge vor Kollegen gefilmt, wie die alte Dame im Wasser ihr Futter findet (dank der Barthaare) und mit ihren Artgenossen im Becken tobt. Kein Wunder, dass die 36-Jährige nicht wirklich widerspricht, wenn man ihr attestiert, einen Traumjob zu haben.

(RP)
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