Duisburger Geschichte Der Rechenschieber ist heute vergessen

Duisburg · Vor der Ära der Digitalrechner war der Rechenschieber bei Ingenieuren und Wissenschaftlern unverzichtbar.

 Diese IBM-Werbung für Großrechner aus dem Jahr 1951 pries die Vorteile digitaler gegenüber analoger Mathematik.

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Foto: IBM

Den Rechenschieber, ein Symbol der technischen Revolution, kennt kaum noch jemand. Es lohnt sich aber, einen Blick auf seine Entstehungsgeschichte zu werfen. Grundlage war die um 1594 entwickelte Logarithmen Rechnung durch den Schotten John Napier. Der erste Rechenschieber wurde um 1622 von dem anglikanischen Geistlichen William Oughtred (1574–1660) entwickelt, indem er zwei logarithmische Skalen nebeneinander legte - man brauchte keine Logarithmentafel mehr. Die geniale Idee wurde damals von Astronomen, Kartographen, Vermessern und Militärs für komplizierte Berechnungen genutzt.

Erst mit der Einführung einheitlicher Maßsysteme und der Industrialisierung gelang ein gewaltiger Entwicklungsschub. So kam der Rechenschieber nach Duisburg, das sich innerhalb weniger Jahre zum Standort der deutschen Schwerindustrie entwickelte: Kohlenbergbau, Eisen – und Stahlproduktion, Maschinenbau. Ob bei Mannesmann, der August Thyssen Hütte, der Demag oder Krohne Messtechnik: Der Rechenschieber beschleunigte die Konstruktion von Maschinen und Anlagen und wurde zum unentbehrlichen Hilfsmittel der Ingenieure aller Fachrichtungen.

Die Verbreitung in allen Duisburger Industriebetrieben wuchs und wuchs. Das „Haus der Konstrukteure“ mit Zeichentischen und Rechenschiebern wurde zum Symbol des technischen Fortschritts. An der „Königlichen Maschinenbau- und Hüttenschule“ an der Bismarckstraße wurde Anfang des 20. Jahrhunderts der Rechenschieber zum unentbehrlichen Hilfsmittel für Techniker und Ingenieure in spe. Mit wenig Aufwand konnten Schüler und Studenten multiplizieren, dividieren, Quadrat- und Kubikwurzeln ziehen. Fortgeschrittene konnten auch Inverse, Sinus, Cosinus oder Tangens ermitteln. Aber man musste die Dezimalkommastelle im Kopf behalten. Wenn der „Läufer auf „142“ steht, konnte es 1,42, 1420 oder 0,00142 bedeuten. Deshalb musste ein Student – damals eine Männerdomäne - seine Ergebnisse immer überprüfen. Den Schätzwert verglich er mit der ermittelten Zahl. Ein positiver Nebeneffekt war, dass der Benutzer ein Zahlenverständnis und ein Bewusstsein für Rundungsfehler entwickelte.

Das mag auch der Grund gewesen sein, dass der Rechenschieber sich im normalen Alltag nicht wieder fand. Mit dem Rechenschieber konnte man nicht addieren und subtrahieren. Zudem gelang es nicht jedem, die Dezimalkommastelle im Kopf zu behalten. So blieb der Rechenschieber eine Domäne der Ingenieure und Wissenschaftler.

Spezielle Rechenschieber-Modelle warteten sogar mit hyperbolischen Funktionen auf, mit denen sich etwa Vektoren und Kettenkurven berechnen ließen - ganz wichtig zum Beispiel für den Bau von Hängebrücken. Heute werden dafür Computerprogramme verwendet. Umso erstaunlicher ist es, welch bahnbrechende Berechnungen damals durchgeführt wurden. Der geniale Albert Einstein (1879 bis 1955) oder der Raketenkonstrukteur Wernher von Braun (1912 bis 1977) nutzten Rechenschieber der Firma Nestler. Zudem erschienen Modelle für Spezialanwendungen, z.B. Molekulargewichte für Chemiker oder Hydraulikformeln für Schiffbauer. Der Digitalgeneration fällt es heute schwer sich vorzustellen, dass technische Meisterleistungen, wie der gigantische DEMAG Schwimmkran (1939 !), Stahlwerke, Rheinbrücken, Eisenbahnstrecken, Schiffe, Energieversorgung, Relaissteuerungen und Signaltechnikanlagen mit Hilfe von Rechenschiebern geplant, berechnet und konstruiert wurden. Anfang der 1970er Jahre endete in Industriebetrieben und im Studium die lange Erfolgsgeschichte des Rechenschiebers. Die digitalen Taschenrechner – einfacher zu handhaben, präziser und leistungsstärker – versetzten dem guten alten Rechenschieber den Todesstoß. 1972 präsentierte Hewlett-Packard den ersten wissenschaftlichen Taschenrechner. Andere Hersteller folgten. Die Rechenschieber von Faber Castell oder Aristo verschwanden in den Schubladen von Sammlern oder auf Trödelmärkten – ebenso wie Bücher mit fünfstelligen Logarithmentafeln. Im beginnenden Zeitalter der Digitalisierung war das Rechnen mit Logarithmen und Rechenschiebern dann aber schnell nicht mehr angesagt. Techniker und Ingenieure sollten ihre wertvolle Arbeitszeit nicht mit aufwendigen Berechnungen verbringen. Heute wissen wir, dass die dynamische Entwicklung im Technologie-Bereich eher zusätzlichen Ingenieurbedarf mit sich bringt.

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