Duisburg Geschichte hautnah

Duisburg · Sechs Wochen lang beschäftigten sich Schüler der Christy-Brown-Förderschule im Rahmen der RP-Aktion „Schüler lesen Zeitung“ mit dem Thema Nationalsozialismus. Gestern erzählte ein Zeitzeuge von seinen Erlebnissen.

„Würden wir heute noch leben?“ Diese bedeutungsschwere Frage stellen sich zur Zeit körperbehinderte Schüler der Christy-Brown-Förderschule in Neumühl mit Blick auf die Euthanasierungsprogramme während des Nationalsozialismus. Im Rahmen der RP-Aktion „Schüler lesen Zeitung“ erhält die Klasse von Christel Montgomery sechs Wochen lang die Rheinische Post, die die Schüler gezielt auf aktuelle Vorkommnisse mit nationalsozialistischem, antisemitischem oder fremdenfeindlichem Bezug untersuchen. Ende nächster Woche werden die 15- bis 16-jährigen Projektteilnehmer einen Abschlussbericht mit ihren Erfahrungen und Gedanken zu jenem Thema verfassen.

Gestern besuchte mit Adolf Graber junior einer der immer seltener werdenden Zeitzeugen der NaziDiktatur, die Klasse von Christel Montgomery. Gebannt lauschten die Jugendlichen der Lebensgeschichte des heute 80-jährigen Hamborners, den die Nazis im zarten Alter von acht Jahren zum Waisen machten. Graber berichtete über das Leid, das seine Familie in der Zeit des Unrechtsregimes erfuhr und vom Mut seines Vaters, der als Sozialdemokrat seiner politischen Ansichten treu blieb, während es längst lebensgefährlich geworden war, eine andere Überzeugung zu haben, als jene der NSDAP.

Als Adolf Graber senior im Jahr 1934 von der Gestapo verhaftet wurde, war die dreiköpfige Familie auf sich allein gestellt und geächtet. „Ich sollte meinen Vater nie wieder sehen“, schilderte Graber junior eindringlich. Sein Vater wurde wegen „Hochverrats“ zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Danach verbrachte er zwei weitere Jahre im Konzentrationslager Sachsenhausen und wurde Ende 1944 im Rahmen der „Notdienstverpflichtung“ von der SS eingezogen. Er sollte in den Partisanenkrieg an die slowakisch-ungarischen Grenze geschickt werden, desertierte und begab sich in russische Gefangenschaft, bei deren Antritt er im März 1945 durch Krankheit verstarb. Gewaltsam ihres Vaters beraubt, lebten die Grabers bis 1939 von umgerechnet 40 Euro Unterstützung pro Monat.

Die Schüler zeigten sich schockiert über so wenig Geld: „Davon kann man doch nicht leben“, sagte einer von ihnen. Doch die Grabers hatten keine andere Möglichkeit. Dank den Schilderungen von Adolf Graber konnte den jungen Zuhören ein Stück Geschichte erlebbar gemacht werden, das zum Teil noch heute Bestand hat.

(RP)
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