Geplante Sprengung in Duisburg Die letzten Tage des „Weißen Riesen“

Duisburg · Die Asbestsanierung des als „Weißer Riese“ bekannten Hochhauses in Duisburg-Hochheide ist abgeschlossen. Nun laufen die Vorbereitungen für die Sprengung im März. Ein Besuch.

Um 11 Uhr mittags liegt der schmale Gang vor Sören Link in bedrückender Dunkelheit. Einige aus der kleinen Gruppe haben ihre Handys gezückt, um mit den Lämpchen an ihren Smartphones wenigstens für etwas Licht zu sorgen. Irgendwo ganz in der Nähe dröhnt ein Schlagbohrer. Der mit Staub und Schutt verdreckte Boden unter den Füßen des Oberbürgermeisters vibriert spürbar. Stabil sehen die für die Sprengung des Gebäudes vorbereiteten Wände um den OB herum nicht mehr aus. Und wie die Gäste eben erfahren haben, befinden sich rund 48.000 Tonnen Stahlbeton über ihren Köpfen. Die Gesichter der kleinen Gruppe sprechen Bände. Ganz wohl fühlt sich in diesem Moment offensichtlich niemand in diesem Keller.

Dabei ist der Anlass, der den OB an diesem Mittwochmorgen an diesen dunklen Ort geführt hat, eigentlich ein erfreulicher. Die Asbestsanierung des ersten der im Volksmund als „Weiße Riesen“ bekannten Hochhäuser in Duisburg Hochheide ist abgeschlossen. Vor kurzem haben die Vorbereitungen für die geplante Sprengung des Gebäudes am 24. März begonnen. Link ist an diesem Morgen der Einladung des Bauunternehmens gefolgt, um sich vor Ort ein Bild zu machen.

 Der Keller des Hochhauses ist ausgeschachtet. Hier sollen Sprengladungen angebracht werden.

Der Keller des Hochhauses ist ausgeschachtet. Hier sollen Sprengladungen angebracht werden.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Keller spielt bei der geplanten Sprengung eine entscheidende Rolle. Während der OB sich an Schuttbergen vorbei seinen Weg sucht, erklärt Marc Sommer, Projektleiter des für den Abbruch des Gebäudes verantwortlichen Bauunternehmens „Re-Build“, den geplanten Ablauf. Das 20-stöckige Hochhaus, in dem einst 320 Familien ein Zuhause gefunden hatten, soll innerhalb von nur wenigen Sekunden in vier Abschnitten gesprengt werden. „Wir werden dafür etwa eine halbe Tonne Sprengstoff einsetzen“, erläutert Sommer. „Mit der einen Hälfte sprengen wir die statisch wichtigen Punkte im zweiten Untergeschoss. Die zweite Hälfte wird in der sechsten beziehungsweise siebten Etage zum Einsatz kommen.“ So könne der Sprengmeister dafür sorgen, dass die Gebäudeteile in zwei unterschiedlichen Fallrichtungen einstürzen. Das Hochhaus bestehe aus vier eigenständigen Gebäudeteilen, die getrennt voneinander zu Fall kommen sollen.

 Insgesamt eine halbe Tonne Sprengstoff soll bei dem Abbruch zum Einsatz kommen. Die Verantwortlichen rechnen mit 48.000 Tonnen Schutt.

Insgesamt eine halbe Tonne Sprengstoff soll bei dem Abbruch zum Einsatz kommen. Die Verantwortlichen rechnen mit 48.000 Tonnen Schutt.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Nachdem die kleine Gruppe den dunklen Gang hinter sich gebracht hat, öffnet sich ein heller Raum. Durch herausgebrochene Wände fällt Tageslicht in den ausgeschachteten Keller. Beim Blick hinaus fallen dem OB und seinen Gästen meterhohe Berge Bauschutt ins Auge. Auf einer weitläufigen Ebene aus Matsch und Dreck türmen sich herausgebrochene Fenster, Glasscheiben, menschengroße Betonbrocken und Erde. Letztere wurde rund um das Gebäude zu einem Wall aufgeschüttet. „Das ist schon eine der Schutzmaßnahmen für die Sprengung“, wirft Sommer ein.

Die Beseitigung des Hochhauses  sei für die Stadt im Übrigen nur der Anfang, wie Planungsdezernten Carsten Tum sagt, der den OB an diesem Morgen begleitet. Die Verantwortlichen arbeiteten daran, auch die verbliebenen drei „Weißen Riesen“ in Hochheide, die noch nicht der Stadt gehören, in ihren Besitz zu bringen. Wenn das gelingt, sollen über kurz oder lang auch sie weichen. An ihrer Stelle, so versprechen es OB und Planungsdezernent übereinstimmend, soll eine große Grünfläche entstehen, um den Hochheidern ein Stück Lebensqualität zurückzugeben.

Nach dem Besuch im Keller führt Projektleiter Sommer die Gruppe zur Vorderseite des Gebäudes. Auch hier türmt sich Bauschutt. Arbeiter in gelben Warnwesten wuseln durcheinander. Vollbeladene Lkw fahren ab, leere kommen an. Ein Außenaufzug soll die Gruppe auf das Dach des Hochhauses bringen. Nachdem alle eingestiegen sind, setzt sich die Personalbühne in Bewegung. Doch in etwa zehn Metern Höhe bleibt das Gefährt plötzlich stehen. Es piept. „Wohl zu schwer“, sagt ein Bauarbeiter, der am Boden geblieben ist, stirnrunzelnd. Die Gruppe im Aufzug nimmt es mit Humor. Die Unkerei einiger Gäste, dass jetzt wohl ein Feuerwehreinsatz nötig werde, um den OB zu retten, erweist sich als unbegründet. Die Bühne ist neben einem Ausstieg zum Halten gekommen. Die Hälfte der Gäste verlässt den Aufzug, dann verrichtet das Gefährt wieder seinen Dienst. Nun geht es eben etappenweise nach oben.

Auch Bezirksbürgermeister Hans-Joachim Paschmann ist einer der Gäste. Er ist gebürtiger Homberger, aufgewachsen in Sichtweite der „Weißen Riesen“. Außerdem ist er Zeitzeuge, hat den Bau der Gebäude 1974 miterlebt. „Damals machte das Sinn, die Hochhäuser zu bauen“, erinnert er sich. „Die Wohnungen waren ja auch toll geschnitten, ein echtes Zuhause für die Bewohner der alten Zechensiedlung, die hier vorher gewesen ist.“ Man habe sich damals wohl nur etwas mit der Anzahl verschätzt. „Gleich sechs zu bauen, ist wohl keine gute Idee gewesen.“

Duisburg: Bilder der "Weißen Riesen" von Hochheide
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Duisburg: Das sind die "Weißen Riesen" von Hochheide

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Foto: Christoph Reichwein

Auf dem Dach des Hochhauses angekommen, bietet sich der Gruppe ein atemberaubender Blick. Der Gasometer in Oberhausen ist zu sehen, das Düsseldorfer Arag-Haus und der Rhein. Aber eben auch noch fünf weitere weiße Hochhäuser. OB Link hält bei dem Anblick kurz inne. Er wirkt entschlossen und macht damit klar: Der 24. März wird nur der Anfang sein. Die „Weißen Riesen“ werden fallen.

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