Angst beim Blick auf das Handy So geht es den Flüchtlingen aus der Ukraine in Duisburg

Duisburg · In Duisburg sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in einer zur Notschlafstelle umgebauten Turnhalle untergebracht. Über das Handy halten die Menschen Kontakt in die Heimat nach Kiew, Mariupol oder Lwiw. Sie rechnen derzeit täglich mit dem Schlimmsten.

 Pfarrer und Notfallseelsorger Rainer Kaspers betreut die aus der Ukraine gefluechtete Carina (33) und ihren Sohn Oskar (3).

Pfarrer und Notfallseelsorger Rainer Kaspers betreut die aus der Ukraine gefluechtete Carina (33) und ihren Sohn Oskar (3).

Foto: epd/Udo Gottschalk

Notfallseelsorger stehen Tag und Nacht in Bereitschaft: Die Ukrainerinnen und wenige Ukrainer in der zur Notschlafstelle umgebauten Turnhalle in Duisburg könnten jederzeit schlechte Nachricht bekommen. Viele fürchten sich zu erfahren, dass ihre Verwandten in Kiew, Mariupol oder Lwiw verwundet oder getötet wurden. „Dann werden wir versuchen, sie zu trösten und in Gesprächen zu begleiten“, sagt Klaus Andrees. Der Pädagoge engagiert sich seit Jahren in der evangelischen Notfallseelsorge und war als ehrenamtlicher Notfallseelsorger am Aufbau der Lager in drei Schulturnhallen innerhalb weniger Tage beteiligt.

Über das Handy, auf dem von Minute zu Minute Nachrichten mit zum Teil schockierenden Bildern aus dem Krieg eintreffen, hielten alle Flüchtlinge Dauerverbindung mit ihrer Heimat, berichtet Andrees. Daher müssten sie jederzeit mit den schlimmsten Nachrichten rechnen.

„Noch lassen sich die Menschen gar nicht auf ihre neue Umgebung ein, weil die meisten hoffen, in wenigen Wochen wieder zu Hause zu sein“, berichtet Pfarrer Rainer Kaspers von der evangelischen Auferstehungsgemeinde im Duisburger Süden. Neben diesen Notunterkünften für bisher etwa 400 Menschen unterstützt die rheinische Landeskirche ukrainische Flüchtlinge medizinisch sowie mit Geld- und Sachspenden. Vor allem aber spendeten viele Menschen ihre Zeit. „Die ehrenamtliche Hilfe ist überwältigend“, sagt Kaspers.

Nach ihrer Ankunft werden Flüchtlinge hier zunächst registriert, auf Corona getestet und, wenn notwendig, geimpft. „Darüber sind alle froh, denn die meisten haben höchstens eine Impfung“, sagt Kaspers. Die Gemeinde kümmere sich auch um die Kinder: Ein Besuch im Duisburger Zoo oder Auftritte von Clowns und Musikerinnen in Zelten rund um die Turnhalle sollten sie ablenken und ihnen Freude machen. „Die Lager darf kein Fremder betreten, deshalb habe ich mich ab und zu mit Kindern auf eines der Feldbetten gesetzt und Bilderbücher angeschaut“, erzählt Rainer Kaspers. Auch Sprachkurse bietet das Team an.

In einem Zelt neben der Notunterkunft können die Kriegsflüchtlinge nach passenden Kleidungsstücken suchen.

In einem Zelt neben der Notunterkunft können die Kriegsflüchtlinge nach passenden Kleidungsstücken suchen.

Foto: epd/Udo Gottschalk

Jeans, Kinderschuhe, Spielzeug: In den ersten Tagen lag noch alles durcheinander in weißen Zelten vor der Bertolt-Brecht-Turnhalle. Ein paar Rundrufe später schon hätten mehr als 30 Frauen und Männer Hilfe angeboten. Die Regale sind jetzt übersichtlich gefüllt, sodass die Menschen sich aussuchen können, was sie brauchen - und sie brauchen alles. „Vor allem Taschen und Koffer versuchen sie zu ergattern, denn sie müssen ja alles wieder verstauen, wenn sie in eine bequemere Unterkunft, möglichst eine Wohnung, umziehen“, sagt Annette Kaiser, die den Einsatz koordiniert.

Die zupackende Frau ist froh, etwas tun zu können. Immer wenn sie eine kleine Pause mache, sagt sie, spüre sie wieder den Schock: „Krieg in Europa – damit haben wir doch nie gerechnet!“ Für den Frieden beten will die Gemeinde daher auch: Sonntags findet ein zweisprachiger Friedensgottesdienst statt, der auch auf Ukrainisch angekündigt wird.

Flüchtlinge, die akut erkrankt sind, werden in evangelischen Krankenhäusern, etwa dem Florence Nightingale Krankenhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth, kostenfrei behandelt. Auch Schwangeren steht diese Hilfe zu, wie die Evangelische Kirche im Rheinland ankündigte. Einige Gemeinden, etwa in Kamp-Lintfort, sammeln und organisieren Hilfsgüter für den Weitertransport in die Ukraine oder zu Aufnahmelagern in Polen. Im Saarland versucht eine Gruppe speziell Unterkünfte für Flüchtlinge mit Tieren zu vermitteln.

Dem Duisburger Team helfen Erfahrungen aus der Arbeit mit Flüchtlingen in den vergangenen Jahren. So hat sich in die Seelsorge eine Psychotherapeutin eingeschaltet, die die Traumata von Menschen nach einer überstürzten, gefährlichen Flucht kennt. Am Eingang der Turnhalle treffen Erfahrungen von Flucht und Verfolgung sogar unmittelbar aufeinander: Im Sicherheitsdienst arbeiten Syrer, die selbst erst vor wenigen Jahren nach Deutschland geflohen sind.

(epd/dab)
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