Perfekte Illusionen Utopien des gelingenden Lebens

Zwei Figurentheater-Abende in der Kulturkirche Liebfrauen wurden zu Höhepunkten der Utopien-Akzente.

 Die weißen Punkte  sind die Vorderseite einer sich selbst bewegenden Maschine – nur sieht man es so nicht.

Die weißen Punkte  sind die Vorderseite einer sich selbst bewegenden Maschine – nur sieht man es so nicht.

Foto: Fisher Studios

1971 fand der schwedische Psychologe Gunnar Johansson zufällig heraus, dass eine bestimmte Kombination von weißen Punkten vor einem schwarzen Hintergrund von uns Menschen wie ein menschliches Wesen wahrgenommen werden kann – nicht nur in seinen typischen Bewegungen, sondern sogar sein Geschlecht, sein Alter und seine Stimmung. Das nutzt auch Stephen Mottram in seinem aktuellen Werk „The Parachute“ („Der Fallschirm“). Seit 30 Jahren ist der britische Puppenspieler weltweit unterwegs mit seinen Figurentheater-Produktionen für Erwachsene. Bekannt wurde er auch durch seine Mitwirkung in den Filmen „Der kleine Horrorladen“ und „Strings“.

Jetzt trat er in der kleinen Figurentheater-Reihe der Utopien-Akzente in der Kulturkirche Liebfrauen auf. Als „Vorspeise“ gab es seinen Zwölfminüter „Watch the Ball“, den er sonst immer als „Dessert“ spielt, der ein wenig die Illusionen nimmt und der laut Mottram zeigt, „dass es definitiv der Job des Puppenspielers ist, eher das Publikum zu manipulieren als die Puppe“. Danach wurde klar, warum diese Veranstaltung eine Stunde später als üblich beginnen musste: „The Parachute“ kann nur in völliger Dunkelheit aufgeführt werden und vor dem Sonnenuntergang drang noch Licht durch die Segeltuch-Wände des entweihten Gotteshauses. Es handelt sich dabei um ein witziges, faszinierendes Stück über Jugend, Liebe und das Altern. Zur maßgeschneiderten elektroakustischen Musik von Sebastian Castagna lässt Stephen Mottram aus ein paar Stäben mit weißen Spitzen verschiedene Figuren entstehen. Kurz zur Handlung: Jung und voller Energie beginnen wir das Abenteuer des Lebens. Wir finden Liebe, bauen ein Heim, bekommen Babys. Und dann, plötzlich, sind die Kinder weg und das Leben fühlt sich an wie ein Wartezimmer. Das ist der Moment, um einen Fallschirm anzulegen und sich für den letzten Sprung ins Unbekannte bereit zu machen.

Tatsächlich schien es so, als würden fünf leuchtende Punkte für uns zur Identifikations-Figur: einer schien der Kopf zu sein, je zwei weitere erschienen als Hände und Füße. Wirklich witzig, wie die Figur herumturnte und sich später auf wundersame Weise vermehrte. Der Atem stockte bei der Szene, als man sich aus dem selbst gebauten Käfig befreite, indem man auf eine Sarg-Form am Himmel zu balancierte und diese demontierte.

Nach dem donnernden Applaus am Ende nahm Mottram der heiteren Utopie noch eine Illusion, indem er uns im vollen Licht die weißen Punkte als Vorderseite einer sich selbst bewegenden Maschine zeigte, so dass er als Puppenspieler im Stück zugleich noch weitere phosphoreszierende Elemente bewegen konnte. Seine trockenen Schlussworte waren „Mehr habe ich nicht für Sie.“

Wie groß war aber die Freude, als einen Abend später die Deutsche Erstaufführung „Vida“ („Leben“) von der spanischen Cia. Javier Aranda zu einem weiteren Höhepunkt des Festivals wurde – mit fast der gleichen Geschichte, nur noch skurriler. Aus dem Nähkorb der Großmutter erwachsen drei brabbelnde Wesen: Vater, Mutter, Kind. Stoffteile auf den Händen des Puppenspielers wirken so lebendig, dass das Baby seine niedliche Wirkung nicht verfehlt. Hier es der Jugendliche, der am grünen Luftballon in ein besseres Leben schwebt.

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