Duisburg Erklärung – keine Entschuldigung

Duisburg · Das misshandelte Baby ist nach wie vor in kritischem Zustand. Der Vater (23) sitzt in U-Haft.

 In dem St.Johannes-Hospital wird das Kleinkind behandelt.

In dem St.Johannes-Hospital wird das Kleinkind behandelt.

Foto: Probst, Andreas

Der erschütternde Fall des vermutlich schwer misshandelten vier Wochen alten Mädchens, das wie berichtet in der Helios St. Johannes Klinik in Hamborn behandelt wird, ist in Duisburg nur ein Fall von vielen — wenn auch ein besonders krasser.

"Ich habe, wenn auch nicht täglich, aber doch jede Woche mit misshandelten Kindern zu tun", erklärte gestern Dr. Peter Seiffert, Chefarzt der Kinderklinik in Hamborn. Das Mädchen wird künstlich beatmet, erlitt eine Hirnblutung und mindestens zehn Knochenbrüche. Lunge und Herz sind gequetscht, "Wenn es überlebt, ist das Risiko von bleibenden Hirnschäden erheblich", sagte Seiffert.

Der 23-jährige Vater des Kindes befindet sich inzwischen in U-Haft, nachdem der Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen schwerer Kindesmisshandlung erließ. Auch in der richterlichen Vernehmung blieb der 23-Jährige bei seiner Darstellung, ihm sei das Baby vom Wickeltisch gerutscht. Dem widerspricht das Ergebnis einer medizinischen Untersuchung, die zu dem Schluss kommt, dass hier massive Gewalt angewendet wurde. Dem 23-Jährigen droht bei einer Verurteilung eine Haftstrafe bis zu zehn Jahren. Der vier Wochen alte Säugling bekam gestern einen vom Jugendamt bestellten Vormund.

Wer kleinen Kindern Gewalt antut, ist in aller Regel kein "böser" Mensch, weiß Seiffert. "Überforderung, Hilflosigkeit, häufig gepaart mit regelmäßigem Schlafentzug — das sind die Dinge, die dazu führen, dass jemand plötzlich völlig ausrastet und sein Kind malträtiert." Häufig haben die Eltern dies in der eigenen Kindheit gelernt: Sie mussten selbst die Erfahrung machen, dass zur Problemlösung geschlagen und geprügelt wird.

"Das sind alles Erklärungen — keine Entschuldigungen", sagt der Chefarzt. Er legt großen Wert darauf, dass ihm die Schweigepflicht seines Berufsstandes verbietet, in Verdachtsfällen sofort die Behörden wie Jugendamt, Staatsanwaltschaft oder Polizei einzuschalten: "Überforderte Eltern brauchen Hilfe, nicht Strafe." Häufig stritten die Eltern ab, Gewalt angewendet zu haben. Dann ist zunächst die Rede davon, dass das Kind vom Wickeltisch gefallen, die Treppe heruntergestürzt ist oder sich am Schrank gestoßen hat. "Wenn ganz kleine Kinder auffallend lethargisch sind, unablässig schreien oder blaue Flecken haben, obwohl sie sich noch nicht alleine fortbewegen können, stimmt etwas nicht", so Seiffert. Das müsse nicht bedeuten, dass vorsätzlich Gewalt angewendet wurde.

"Aber es ist ein Indiz dafür, dass etwas falsch gemacht wurde." Es komme durchaus vor, dass Eltern mehrfach mit verdächtig verletzten Kindern ins Krankenhaus kommen. "Trotzdem muss man froh sein, wenn die Kinder hier vorgestellt werden — denn dann wollen die Eltern letztlich nur etwas Gutes für ihr Kind." Gemeinsam mit sozialpädiatrischen Fachkräften und in Einvernehmen mit den Eltern werde nach Lösungen gesucht. Grundsätzlich gebe es Gewalt in allen sozialen Schichten. "Bei sozial schwachen, bildungsfernen Familien ist die Gewalt plumper. Bei anderen werden Misshandlungen besser kaschiert", so Seiffert.

(RP/rl)
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