Duisburg Ekeln bis zum Umfallen

Duisburg · Im Hundertmeister las Charlotte Roche aus ihrem Debütwerk "Feuchtgebiete" . Die TV-Moderatorin gab sich rotzig-frech. Eine in Ohnmacht gefallene Zuhörerin passte bestens ins widerliche Konzept.

Wer ist Charlotte Roche?
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"Wenn jemand in Ohnmacht fällt, freue ich mich. Aber die sagen dann ja immer, es liegt an der schlechten Luft." Charlotte Roche greift mit dem rechten Zeigefinger ans Auge und zieht das Augenlid nach unten. Das Publikum im brechend vollen Hundertmeister bricht in schallendes Gelächter.

Was war passiert? Während die TV-Moderatorin aus ihrem Roman "Feuchtgebiete" gerade über herausgerissene Brustwarzenpiercings und eine durch Intimrasur hervorgerufenen Analfissur ihrer Romanfigur Helen Memel liest, fällt eine Zuschauerin in Ohnmacht. Bewusstlos liegt die ungefähr 25jährige Frau in der vorletzten Reihe. Ihre Begleitung versucht sie wieder in die Gegenwart zu holen. "Nur eine Frage für die Statistik", bemerkt Roche. "Ist es ein Mann oder eine Frau, ich kann das hier nicht sehen. Das ist ja quasi Bodycount." Wieder schallendes Lachen des Publikums, in dem anscheinend Realschul-Deutschlehrer genauso vertreten sind, wie Studenten und Teenager. Roche treibt ihr Spiel weiter: "Willst du sitzen bleiben? Es wird noch schlimmer." Schnell verlässt die gerade zu sich gekommene Frau den Saal in Begleitung und bleibt für zwanzig Minuten draußen.

Roche arbeitet sich durch die Themen ihres Erstlingwerkes: Eiterblasen am Unterleib, Duschköpfe und ihre Verwendungszwecke, Menstruationsblut und Reinlichkeit. Da wird erzählt, wie Helen auf Raststättentoiletten die Klobrille mit dem Po säubert, bevor sie sich setzt, dass ein Keilschnitt am Anus zur analen Inkontinenz führen kann, und wie lange Wasser im Unterleib behalten werden kann. Die offenbar wieder erstarkte Mittzwanzigerin und ihre Begleitung betritt wieder den Raum. Roche reagiert promt: "Schade, jetzt haben die Beiden das beste ja verpasst. Ich glaube ich werde zu denen nach Hause fahren und ihnen das nochmal vorlesen. Immer klingeln, ein Satz, bevor die Tür zufällt und dann wieder klingeln." Roche beherrscht ihr Publikum. Nachdem sie "Feuchtgebiete" als "Stellenliteratur" einordnet (die man bloß "stellenweise" liest), beschließt sie die Lesung nach einer Stunde mit den Worten "So fängt das Buch an".

Zeit für Fragen. Wie viel des verarbeitenden Materials erfunden sein und wie viel authentisch, will eine Zuschauerin wissen. "Meine beste Freundin hat auch gesagt, dass jeder denken wird, dass ich aus meinem persönlichen Tagebuch vorlese. An manchen Tagen sage ich, 80 Prozent sind wahr, an manchen sage ich, es sind nur 20 Prozent eigener Erfahrungen. Aber die Familiengeschichte beispielsweise ist vollkommen aus meinem Leben gegriffen." Roche gibt sich ganz so, wie ihr TV-Publikum sie kennt. . Aber der radikale Tabubruch, um Reaktionen zu provozieren, wirkt zu geplant. Ob sie Feministin sei, fragt ein weiterer männlicher Zuschauer. Antwort: "Ja, und du?"

(RP)
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