Duisburg Eine Stadt trägt Trauer

Duisburg · Die Duisburger sind geschockt. Die am Mittag ausgelassen begonnene Loveparade endete wenige Stunden später in einer Katastrophe, wie sie Duisburg noch nicht erlebt hat.

Loveparde-Unglück 2010 in Duisburg - Trauer am Tunnel
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Trauer am Unglückstunnel

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Duisburg trug gestern Trauer: Wieder mal blickt die Nation entsetzt und geschockt auf eine Stadt, der es scheinbar nie gelingen wird, aufrecht zu gehen. Alle Horrornachrichten der Vergangenheit reichen nicht einmal ansatzweise an die vom vergangenen Samstag heran. Eine Katastrophe dieses Ausmaße hat es hier noch nicht gegeben.

Ganz fröhlich und ausgelassen hatte die Loveparade begonnen. Als dieses Völkchen am Morgen anrückte, da wurde es bestaunt wie die Affen im Zoo. Sicherlich sahen etliche ihre Vorurteile über die wilde Horde bestätigt, doch andere amüsierten sich köstlich über die bunt Kostümierten, die keinen Zweifel daran ließen, dass sie die Stadt zur angesagten Partymeile machen wollten.

Alle fragen das Gleiche

Vermutlich hätten sich die meisten Duisburger gewünscht, dass der Raverzug gar nicht hier hält. Weil zu teuer, weil zu viel junges Volk in die City drängen würde, "weil wir die Betrunkenen und Bekifften hier nicht haben wollen", hieß es im Vorfeld immer wieder. Ach, wären die Hunderte von Rettungskräften am Samstag doch ausschließlich benötigt worden, um sturzbetrunkene Jugendlichen zu helfen oder solchen, die sich mit Drogen zugedröhnt haben. Oder noch besser: "Wäre die Loveparade doch nur ansatzweise so reibungslos verlaufen wie eine Woche zuvor das herrliche Fest auf der A 40" — wünschten sich alle.

Die Stadt trug gestern Trauer, nicht nach Außen sichtbar, aber tief in den Herzen ihrer Bürger. Wo immer Menschen zusammenstanden, gab es nur dieses furchtbare Thema. Wo immer sich Duisburger trafen, wurden die gleichen Fragen gestellt: Warst du dabei? Sind deine Kinder wohlauf? Kennst du jemanden, der ums Leben gekommen oder schwer verletzt worden ist? Und fast alle scheinen am Samstag irgendwie dabei gewesen zu sein, persönlich oder weil eben die Kinder oder die Enkel zu dem Festival gegangen waren.

Duisburg trug gestern Trauer: Die Offiziellen, die den hunderten angereisten Medienvertretern Rede und Antwort stehen mussten, fand en im Grundsatz immer die gleichen fein-formulierten Worte von tiefer Bestürzung, nicht beschreibbarer Trauer, von echtem Mitgefühl und größter Anteilnahme. Und die Großen der Politik zeigten sie bei ihren Besuchen an den Betten der Verunglückten in Duisburger Krankenhäusern.

Wer seine Trauer nicht in Worte kleiden wollte oder konnte, den zog es zum Tunnel. Die Menge der niedergelegten Blumen und brennenden Kerzen und Devotionalien ist eine Messlatte für die Ergriffenheit einer ganzen Stadt — dann zumindest, wenn Fernsehkameras Bilder einfangen, die später in der ganzen Welt zu sehen sein werden. Also ruhig noch mehr Blumen und Kerzen als damals, als die Mafia in Neudorf Landsleute erschoss. Doch was ist diese kriminelle Tat unter Italienern gegenüber der Tragödie von Samstag, als 19 überwiegend junge Menschen starben, die doch eigentlich nur feiern wollten. Nicht durch Mörderhand kamen sie ums Leben, sondern durch Umstände, die es noch zu ermitteln gibt.

Viele wollten gestern schon ganz genau wissen, wie es zum Unglück kam, viele behaupten, Augenzeugen gewesen zu sein, viele erzählten ausführlich, wie sie eingekeilt in der Menge Panik spürten und nur noch einen Wunsch hatten: Ganz, ganz schnell weg!

Duisburg hatte so viel Hoffnungen an die Loveparade geknüpft: Endlich eine Chance zu demonstrieren, dass Duisburg nicht nur wegen seiner Universität ein Herz für die Jugend hat. Wieder einmal wären viele ausländische Gäste mit dem Eindruck nach Hause gefahren — so die Hoffnung —, dass ausländerfeindliche Deutsche in dieser Stadt nicht zu finden sind, wo doch so friedlich fröhlich miteinander gefeiert worden ist. Eine solche Möglichkeit der positiven Selbstdarstellung darf man sich nicht entgehen lassen, da muss man zugreifen — das war der Grund, warum über ein Jahr lang allen Widrigkeiten zum Trotz daran gearbeitet wurde, dass Festival hier stattfinden zu lassen.

Duisburg hatte aber auch Angst: Davor, dass die mahnenden Stimmen Recht behalten könnten, die da erklärten, das Gelände am Güterbahnhof sei viel zu klein, der Weg viel zu risikobehaftet, die Finanzierung viel zu wackelig. Und darum versuchten die Handelnden an der Stadtspitze, möglichst alle Risiken auszuräumen. Und diejenigen, die gestern öffentlich erklärten, sie seien ja schon immer gegen dieses Konzept gewesen und hätten von Anfang an höchste Sicherheitsbedenken gehabt, die schwiegen auch, bis zum Samstag, wenige Minuten nach dem Unglück.

Auf Halbmast

Duisburg wird auch heute Trauer tragen: vielleicht schon nach außen sichtbar. Bereits gestern mehrten sich Stimmen, die forderten, dass die Fahnen an öffentlichen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen auf Halbmast gesetzt werden sollten, eine Entscheidung, die beim Land, nicht bei der Stadt liegt.

Duisburg wird noch viele Tage Trauer tragen. Es wird dauern, bis die Umstände geklärt und die vermeintlich Schuldigen ausfindig gemacht worden sind. Schuldig im Sinne des Gesetzes. Moralisch schuldig fühlen sich hier längst schon viele von denen, die das Spektakel mitorganisiert haben. Duisburg wird noch Wochen und Monate Trauerarbeit leisten. Dazu gehört, Distanz zu der Katastrophe zu schaffen, ohne in Gleichgültigkeit zu verfallen. Die Stadt wird sich immer wieder an dieses schreckliche Unglück erinnern, zum Beispiel dann, wenn die Frage gestellt wird, ob man nicht irgendwo in der Innenstadt mit einer Tafel, einer Plastik, einem Gedenkstein dauerhaft an die Getöteten erinnern sollte oder gar müsste.

(RP)
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