Duisburg Ein paar Stunden absolute Hilflosigkeit

Duisburg · Wie fühlt man sich eigentlich als Rollstuhlfahrer? Mit welchen Problemen wird man im Alltag konfrontiert? Wir haben einen Rollstuhl ausgeliehen und den Selbstversuch in der Innenstadt gewagt.

 Unser Mitarbeiter Fabian Spieß hat im Rollstuhl erlebt, wie beschwerlich die Fortbewegung damit ist. Aufzüge und Umkleidekabinen sind oft zu eng. Richtig schwierig wird es im öffentlichen Personennahverkehr.

Unser Mitarbeiter Fabian Spieß hat im Rollstuhl erlebt, wie beschwerlich die Fortbewegung damit ist. Aufzüge und Umkleidekabinen sind oft zu eng. Richtig schwierig wird es im öffentlichen Personennahverkehr.

Foto: Andreas Probst

Das ist sie also, meine Fortbewegungshilfe für die nächsten Stunden. Vor mir steht ein schmuckloser Rollstuhl mit Gummibereifung. Ich möchte am eigenen Leib das erfahren, was für Gehbehinderte Alltag ist: Wie kommt man in Duisburg im Rollstuhl zurecht? Lars Brinkmann vom Sanitätshaus Bültzingslöwen bittet mich, Platz zu nehmen. "Das ist der Rollstuhl, den die meisten Leute von der Krankenkasse bewilligt bekommen", sagt er. Kurz zuvor hatte ich in einem deutlich teureren Exemplar erste Runden im Wartebereich gedreht. Das "Modell Kasse" fährt sich viel schwergängiger. Ich muss breiter greifen und deutlich mehr Kraft aufwenden, um vorwärtszukommen. Das Messgerät, auf das mich Lars Brinkmann schiebt, bestätigt den schlechten ersten Eindruck: "60 Prozent Belastung der Vorderräder sind deutlich zu viel" sagt er und kritisiert: "Das ist allerdings leider der Alltag." Ich verfrachte den Rollstuhl in mein Auto und fahre von Kaßlerfeld in die Innenstadt.

Unüberwindbares Hindernis Der Aufzug im Haus der Redaktion stellt dann das erste wirklich unüberwindbare Hindernis dar. Bordsteinkanten und unebenen Bodenbelag habe ich mit meinen noch bescheidenen Fahrkünsten gemeistert. Aber der Lift ist so eng, dass keine Chance besteht, hineinzukommen. Nach einer kurzen Besprechung geht es dann hinaus in den Alltag. Eine Tour durch die Stadt steht bevor. Janine und Janina sollen mir im Notfall helfen, unüberbrückbare Hindernisse zu meistern. Nachdem ich es geschafft habe, die Fußgängerampel an der Steinschen Gasse zu überqueren, begeben wir uns in die Königsgalerie. Auf dem ebenen Boden komme ich recht schnell vorwärts und lerne, den Rollstuhl immer besser zu kontrollieren. Mit dem erfreulich breiten Lift geht es in die erste Etage. In einem Modegeschäft wartet dann der erste Härtetest: eine Hose anprobieren. Eine der Ankleidekabinen ist behindertengerecht ausgestattet. Trotzdem muss ich rangieren, um durch die enge Tür zu kommen. An einem breiten Griff an der Wand hieve ich mich hoch und ziehe die Hose langsam über die Hüfte. Der Rest geht dann im Sitzen. Das alles kostet viel mehr Kraft als erwartet.

Mitleidige Blicke Auf der Königstraße bin ich so erschöpft, dass Janina mich ein Stück schieben muss. Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend ist, im moderaten Tempo vorwärtszukommen. Das andere Ende der Stadt scheint auf einmal sehr weit weg. Da ich mich einmal nicht auf das Fahren und darauf konzentrieren muss, mir zwischen den Fußgängern den Weg zu bahnen, fallen mir die Blicke der Passanten auf. Sie reichen von mitleidig bis verachtend.

Ich fühle mich unglaublich klein und hilflos. Hinzu kommen die nicht zu überhörenden Kommentare. "Guck mal die beiden Mädels", sagt ein junger Mann im Forum, der eine Umfrage durchführt, als er Janine und Janina sieht. "Ne lass mal besser, die haben einen Rollstuhlfahrer dabei", unterbricht ihn sein Freund.

Straßenbahn unerreichbar Wir beschließen, testweise einige Stationen mit der U-Bahn zu fahren. Vom Forum aus gibt es in der unteren Etage einen direkten Zugang. So steht es zumindest auf dem Hinweisschild. Angekommen im Bahnhof stellen wir allerdings fest, dass zu den Gleisen nur Treppen und Rolltreppen führen. Mit dem Rollstuhl kann ich also keine Bahn erreichen.

Wieder auf der Königstraße angekommen, entdecke ich, dass der Lift in den Gleisbereich genau auf der anderen Seite der Station gewesen wäre. Anhand dieses Beispiels wird mir ziemlich deutlich, wie genau man sich als Gehbehinderter über die örtlichen Gegebenheiten im öffentlichen Personennahverkehr im Vorfeld informieren muss, um anstrengende und beschwerliche Umwege zu vermeiden.

Als ich mein Auto auf dem Burgplatz erreiche und den Stuhl endlich verlasse, bin ich komplett durchgeschwitzt. Meine Hände und Arme brennen von der so ungewohnten Belastung. Mich überkommt unendliche Dankbarkeit, weil ich endlich wieder laufen darf — und vor allem, weil ich laufen kann.

(RP/ila)
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