Weltkünstlerin im Duisburger Lehmbruck-Museum Eija-Liisa Ahtilas Videos denken die Welt neu

Duisburg · Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt ab dem kommenden Samstag Arbeiten der finnischen Weltkünstlerin Eija-Liisa Ahtila.

 Eija-Liisa Ahtila im Lehmbruck-Museum vor einer ihrer Videoprojektionen.

Eija-Liisa Ahtila im Lehmbruck-Museum vor einer ihrer Videoprojektionen.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Die junge Frau fährt mit dem Auto zu ihrem Haus im Wald. Zunächst ist alles Routine, aber dann wird klar, dass die Wahrnehmung der Protagonistin psychotisch gestört ist: Elisa kann nicht mehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden, allmählich verschwimmen alle Grenzen, Geräusche tauchen unabhängig von Bildern auf, eine Kuh spaziert durchs Wohnzimmer, die Dame schwebt durch ihren Garten. Das einfühlsame (und zugleich humorvolle) Video erweitert auch unsere eigene Wahrnehmung. Das ist „Talo/The House“, das Schlüsselwerk der 1959 in Finnland geborenen Künstlerin Eija-Liisa Ahtila, der das Lehmbruck-Museum bis zum 26. Januar 2020 die erste Einzelausstellung in Deutschland seit zehn Jahren widmet. „Das Haus“ bedeutete 2002 ihren internationalen Durchbruch bei der documenta 11 in Kassel. Doch der Reihe nach.

Der dritte Bauabschnitt des Duisburger Museums ist jetzt weitgehend abgedunkelt, damit man die Videoinstallationen besser betrachten kann. An Anfang steht eine Koje mit Ahtilas erstem wichtigen Film „Consolation Service“ (1999), der damals bei der Biennale von Venedig gezeigt wurde und in dem die Trennungsgeschichte eines jungen Elternpaares schon durch die zweigeteilte Leinwand sinnfällig wird. Die Wände der drei Dreiecksräume wurden für die neue Ausstellung schwarz gestrichen. Rechts stehen fünf Monitore mit den sehr kurzen Filmen „The Present“ (2001), die Interviews mit jungen Frauen verarbeiten, die eine Psychose durchlebt haben. Eines dieser Videos erweiterte Ahtila ein Jahr später zu „The House“, das im mittleren der Dreiecksräume auf drei große Leinwände projiziert wird, wobei die Bilder sich teilweise gezielt widersprechen. Im linken Dreiecksraum schließlich stehen die vier „House Sculptures“ (2004), die utopische Häuserformen entwerfen – bei einem ist der erste Stock komplett mit Wasser geflutet, so dass dort niemand hinein- oder hinausgehen kann.

„Haus“ heißt auf Griechisch „oikos“, und das führt uns zur Ökologie, die inzwischen im Mittelpunkt der Arbeit von Eija-Liisa Ahtila steht. Im Wechselausstellungsraum wird nach und nach klar, warum die Schau „Skulptur in Zeiten des Posthumanismus“ heißt. Das Video „Fishermen/Étude No. 1“ (2007) zeigt Fischer vor der Küste Westafrikas, die vergeblich gegen die Naturgewalten ankämpfen, denn der Kimawandel macht es ihnen immer schwerer, sich auf diese Weise zu ernähren. Unbedingt ansehen sollte man sich auch die zwischen den Stellwänden etwas versteckte Installation „Studies on the Ecology of Drama“ (2014). Hier sind wir von vier Leinwänden umstellt, die wir also niemals alle gleichzeitig anschauen können, wobei die Stimme der Moderatorin meist aus der Richtung jener Leinwand kommt, auf der gerade das Wichtigste (und sie selbst) zu sehen ist. Es geht darum, die Perspektive anderer Lebewesen einzunehmen: Je nach der Größe und dem Wahrnehmungsapparat der jeweiligen Tiere und Pflanzen entsteht eine ganz andere Welt.

Ahtilas jüngste Arbeit „Potentiality for Love“ (2018) schließlich wird in Duisburg erstmals in Deutschland gezeigt. Hier „fehlt“ der Ton, dafür fasziniert eine Videoskulptur aus LED-Modulen, auf der eine scheinbar schwerelos durchs Weltall schwebende Frau langsam näherkommt. Während sie zu Beginn wie ein Embryo wirkt, wird sie mit der Zeit als erwachsene Frau erkennbar. Zum Ende der Sequenz blickt die Frau uns direkt an und öffnet lächelnd ihre Arme. Sie erscheint – auch durch ihr Oberteil mit dem Schrftzug „LOVE“ – als Verkörperung der Liebe.

Es geht also im ersten Teil der Ausstellung um das, was Sigmund Freud schon vor einem Jahrhundert als „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus“ formulierte und im zweiten Teil darum, dass der Mensch seinen angemaßten Thron endlich der Schöpfung räumen sollte. Das passt zum NRW-Motto des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums „Die Welt neu denken“. Die Filme in finnischer Sprache sind übrigens in Deutsch und Englisch untertitelt, zum Teil wechselnd in der Endlos-Schleife.

Eröffnet wird die sehenswerte Schau am Samstag, 28. September, um 16 Uhr.

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