Was Duisburgs Straßennamen über Kolonialismus verrraten Mafia und „ein Platz an der Sonne“

Duisburg · Spuren des Kolonialismus finden sich in Duisburger Straßennamen. Kolonialvereine und Wirtschaft forderten einst die Rückgabe von Kolonien. Duisburger Firmen protestierten einst gegen den „Raub“ Deutsch-Ostafrikas.

 Koloniale Bildelemente: Deutsch-Ostafrika mit Bezügen zur Mafiastraße. Links: Die Vorder-und Rückseite der Duisburger Kriegervereinsfahne.

Koloniale Bildelemente: Deutsch-Ostafrika mit Bezügen zur Mafiastraße. Links: Die Vorder-und Rückseite der Duisburger Kriegervereinsfahne.

Foto: Küst

Die Mafiastraße gibt es in Europa nur in Duisburg. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Damit Satire nicht mit Fakten verwechselt wird: Der Straßenname „Mafia“ hat absolut nichts mit einer kriminellen Vereinigung zu tun; vielmehr handelt es sich um eine Insel vor der ostafrikanischen Küste, die zur Kolonialzeit (1885-1918) zu Deutsch-Ostafrika gehörte und heute Teil von Tansania ist.

Mafia ist etwa 45 Flugminuten von der Gewürzinsel Sansibar (Unguja) oder der Hafenstadt Daressalam entfernt. Die Hauptinsel allein misst 435 Quadratkilometer. Mafia gilt als Unterwasser-Paradies: Vorgelagerte Inseln, Sandbänke, bunte Korallenriffe, Höhlen und Steilwände begeistern Taucher und Schnorchler.

Rückblick: Aber wie sah es vor gut 125 Jahren aus, als die ersten Zeitungsberichte und Fotos aus dem fernen Ostafrika Duisburg erreichten? Die Postkartenbilder aus dieser Zeit wirkten exotisch schön und unwirklich zugleich. Stolz wurde der Kilimandscharo als „Kaiser-Wilhelm-Spitze“ und höchster Berg Deutschlands vereinnahmt.

Von der Überlegenheit der „Weißen“, die in Ostafrika angeblich ihren Zivilisationsauftrag erfüllten, waren viele Intellektuelle und Bürger überzeugt. Rassismus war weit verbreitet. Wirtschaftliche Interessen lockten Kaufleute, Händler und Abenteurer nach Afrika. Aber es gab auch kritische Stimmen. „Das Wesen der Kolonialpolitik ist die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz“, so der Sozialdemokrat August Bebel. Der deutsche Außenpolitiker Bernhard von Bülow vertrat dagegen ein imperialistisches Weltbild: „Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten sich Europas Mächte einen Wettlauf um neue Kolonialgebiete geliefert. Die deutsch-britischen Interessensphären in Ostafrika wurden auf dem Verhandlungsweg abgesteckt. Ein Geschacher auf Kosten der indigenen Bevölkerung. Das Deutsche Reich erhielt vertraglich den wertvollen Küstenstreifen und die Insel Mafia, gab dafür einen kleinen Landstrich, das Witu-Gebiet, etwas weiter nördlich an die Briten und beendete alle Ambitionen auf Sansibar, das nun sofort Schutzgebiet Londons wurde. Dafür überließen die Briten dem Deutschen Reich die Nordseeinsel Helgoland. So entstand die Mär vom Tausch, obwohl Sansibar sich nie im Besitz Deutschlands befunden hatte.

Die Kolonie Deutsch-Ostafrika (1885 bis 1918) mit Regierungssitz in Daressalam entstand aus „Erwerbungen“ der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) und annektierten Gebieten. Die Gesamtfläche betrug 995.000 Quadratkilometer (nahezu die doppelte Fläche des damaligen Deutschen Reiches,

. Mit Alkohol und billigem Tand hatte sich zuvor der zwielichtige und brutale „Herrenmensch“ Carl Peters an den riesigen Stammesgebieten auf dem Festland „vertraglich“ bereichert. Trotz formaler Abschaffung der Sklaverei war die Bildung der deutschen Kolonie Ostafrika mit Zwangsarbeit, Ausbeutung, Misshandlung und blutiger Niederschlagung von Aufständen der indigenen Bevölkerung verbunden.

Mit dem auf die Niederlage im Ersten Weltkrieg folgenden Versailler Friedensvertrag verlor Deutschland seine Kolonien. Deutsch-Ostafrika mit der Insel Mafia wurde Teil des englischen Treuhandgebietes Tanganjika. Die Verbitterung in Deutschland wuchs. Konservative Politiker wie Adenauer und der Duisburger Oberbürgermeister Jarres forderten die Rückgabe der verlorenen Kolonien. Namhafte Duisburger Handels- und Industrieunternehmen protestierten gegen den Raub von Deutsch-Ostafrika. Das belegen Archivalien.

In Duisburg bildeten sich Vereine, die weiter von einem „Platz an der Sonne“ träumten. Die revisionistische Stimmungslage griffen die Nationalsozialisten auf und nutzten sie für die NS-Propaganda. In Duisburg-Buchholz ließ man im Dezember 1936 eine Siedlung mit Straßennamen aus der Kolonialzeit ausstatten. Ende der 1950er Jahre wurde die sogenannte „Afrika-Siedlung“ um sieben Straßennamen erweitert, darunter die Mafiastraße. Die an der Straßenbenennung beteiligten Akteure waren sich der Brisanz des Themas bewusst, dass sechs der neugewählten Straßennamen Bezüge zu den ehemaligen deutschen Kolonien aufweisen, so die Krupp-Stipendiatin Anissa Finzi.

Quellen: Anissa Finzi, Krupp-Stipendiatin, Rechercheprojekt „Spuren des Kolonialismus in Duisburg“ des KSM, 2004. Unveröffentlichtes Manuskript, StadtarchivunterlagenRobin Richterich, Duisburger Forschungen, Band 62, NS-Geschichts-und Erinnerungspolitik in Duisburg.

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