Duisburger Geschichten und Geschichte Vom Süßholz zur Lakritzschnecke

Serie | Duisburg · Es sollte mehr Süßholz geraspelt werden: So lautet auch heute noch die Empfehlung der Apothekerzunft. Wie ein Heilmittel als Süßigkeit Karriere machte.

 Apotheker empfehlen Süßholzstangen zur Gewichtsabnahme.

Apotheker empfehlen Süßholzstangen zur Gewichtsabnahme.

Foto: Wiki gemeinfrei

Cineasten erinnern sich: Im Film Goldrausch verspeiste Charlie Chaplin in einer legendären Szene seine Schuhe mitsamt Sohle und Schnürsenkel. Kein Problem für den großen Stummfilmstar, weil diese Requisiten aus Lakritz gefertigt waren, der mit Extrakten aus der Süßholzwurzel hergestellt wird.  Die Süßholzpflanze wird bis zu anderthalb Meter hoch und wächst vor allem im Mittelmeerraum und in mittelasiatischen Ländern, insbesondere in Syrien, in der Türkei und im Iran. Im Spätherbst werden die fingerdicken Wurzeln geerntet.

Die Wurzel enthält „Glycynrhiza“, ein Name, den nur Apotheker und Mediziner fehlerfrei aussprechen. Der Stoff wurde schon im Mittelalter als Medizin gegen Husten, Fieber und Entzündungen geschätzt. Selbst Napoleon Bonaparte soll stets Süßholzpulver bei sich getragen haben, da ihn häufig eine Gastritis quälte.  In der traditionsreichen Duisburger Einhorn-Apotheke war Lakritz schon im 17. Jahrhundert als Heilmittel bekannt.

Heute empfehlen Apotheker zur Gewichtsabnahme Süßholzstangen. Die zu kauen stillt Heißhunger auf Süßes und Zwischendurch-Gelüste ohne die Kalorien-Bilanz in die Höhe zu treiben. Man kann so einen Stängel sogar in der Suppe mitkochen oder seine Enden etwas anspitzen, um ihn als Spieß beim Grillen oder Braten zu verwenden. Auch als Bestandteil von Teemischungen ist Süßholz erhältlich. Lakritz als Naturheilmittel ist weiter höchst aktuell.  Ein Forscherteam der Duisburg-Essener Universität bestätigt die antivirale Wirkung gegen das Coronavirus. Zur Zeit laufen weitere Untersuchungen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Konsum von glycynrhizahaltigen Produkten wie Lakritz oder Süßholzwurzeltee das Ansteckungsrisiko reduzieren kann. Es besteht somit kein Grund Lakritz zu verteufeln. Auf Rezept gibt es Lakritz allerdings nicht.

Den Apotheken erwuchs im 18. Jahrhundert eine Konkurrenz: Es entstanden die ersten Lakritzbetriebe. Quellen belegen die Gründung der Amarelli Lakritzfabrik im Jahr 1731. Das „Lakritzmuseum „Giorgio Amarelli“ in Süditalien macht die Geschichte der Lakritzherstellung wieder lebendig. Die Grenzen zwischen handwerklicher Heilmittelherstellung und einer Süßigkeit wurden aufgehoben.

Der britische Apotheker George Dunhill (1760) erwies sich zu dieser Zeit als genialer Erfinder einer neuen Rezeptur. Nach dem Kochen des geraspelten Süßholzes vermengte er den Süßholzsaft mit Zucker und Mehl. Den Teig formte er zu Kügelchen und Pastillen, die sich zum Verkaufsschlager entwickelten. Seine Heimatstadt Pontefract im englischen Yorkshire wurde zur Hochburg der handwerklichen Lakritzherstellung.

 Mit der frühen Industrialisierung im 19. Jahrhundert gelang es den Briten Lakritz in großen Mengen zu produzieren. Die aufkeimende Lebensmittelchemie und die Dampfmaschine erlaubten eine kostengünstige Massenproduktion. Neben Pastillen wurde die Rohmasse zu Süßigkeiten und Bonbons weiterverarbeitet. Lakritz wurde damit für breitere Käuferschichten erschwinglich. Doch die regionalen Vorlieben sind höchst unterschiedlich.

Während Engländer Sorten mit weicher Konsistenz bevorzugen, mögen es Holländer und Dänen eher salzig. Den Weltrekord im Lakritzverbrauch halten im Übrigen die Niederländer: Sie verspeisen pro Kopf jährlich etwa zwei Kilogramm schwarze „drops“. Lakritzliebhaber aller Geschmacksrichtungen findet man in Deutschland eher nördlich der Mainlinie; südlich sinken die Umsatzzahlen deutlich. Jenseits des Lakritzäquators spricht man gar von „Bärendreck“.

Hier im Rheinland bestimmen Unternehmen wie Haribo oder Katjes den Markt. Retrogefühle vermitteln die beliebten Lakritzschnecken, die in dickbauchigen Gläsern am Kiosk Kinderherzen erfreuten. Der Klassiker wurde von einer patentierten Lakritzschnecken-Wickelmaschine gerollt, die Paul Riegel von der Firma Haribo als versierter Tüftler selbst erfunden hatte.  

Ansonsten ist die Formvielfalt beeindruckend: In Schnur-, Katzen-, Drops- oder Pastillen-Form ist es bevorzugt in aller Munde. Eine Marktnische mit einem breiten Sortiment Lakritzbonbons  besetzt die Duisburger Kräuterfabrik Wilhelm Müller.

Zum Weiterlesen: Kreische, Klaus-D., Lakritz – Traktat einer Reise in die Welt der schwarzen Süßigkeit

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