Duisburger Geschichten und Geschichte Heinrich I.: Konsens als Herrschaftsprinzip

Duisburg · Nationalsozialisten versuchten den ostfränkischen Heinrich I. zu vereinnahmen. Eine widersinnige Deutung. Heinrich I. beteiligte die Regionalfürsten und schuf damit die frühe Grundlage einer föderalen Verfassung.

 Das Hinweisschild des König-Heinrich-Platzes am Gerichtsgebäude mit dem reinmontierten Heinrich I.

Das Hinweisschild des König-Heinrich-Platzes am Gerichtsgebäude mit dem reinmontierten Heinrich I.

Foto: Küst

Der König-Heinrich-Platz mit seinen schwebenden Rasenflächen gehört zu den beliebten Treffpunkten der Duisburger. Da stellt sich für Besucher die Frage, wer König Heinrich überhaupt war. Die Beschilderung am Landgericht liefert Angaben zur Regierungszeit und zu einer Reichsversammlung. So fand ein kirchliches Treffen 929 zu Duisburg („apud Diusburgum“) statt. 929 und 935 folgten weitere Königsaufenthalte in Duisburg, so der Archäologe und Historiker Tilmann Bechert.

Die Königwerdung beginnt mit einer Legende. Angeblich soll der sächsische Herzog Heinrich „der Vogler“ vor einer Scheune in Quedlinburg gesessen und Singvögel mit einem Netz gefangen haben, als Boten des Vorgängers im April 919 erschienen und dem 42-jährigen Heinrich die Königswürde des ostfränkischen Reichs antrugen. Heinrich I. nahm an und verstand es mit geschickter Heirats- und Bündnispolitik seine strategische Machtbasis auszubauen. Er setzte dabei auf die Einbindung der Landesfürsten. Denn einig waren die Stammesherzöge keineswegs - sie blieben in erster Linie Franken, Sachsen, Thüringer, Bayern, Schwaben und Lothringer.  Erst angesichts der ständigen blutigen Raubzüge und Plünderungen durch ungarische Reiterheere, die immer wieder tief nach Westen vorstießen, reifte die Einsicht zusammen zu stehen.  Heinrich gelang es mit dem Bau von Befestigungswerken die Slawen und die Ungarn zurückzuschlagen und seinem Sohn Otto I. den Thron sichern.  Mit seiner klugen, langfristig angelegten Bündnispolitik, der Einigung und damit des Befriedens kann Heinrich I. tatsächlich als Wegbereiter einer prozesshaften Entstehung des Reichs gelten.

Was viele Duisburger allerdings nicht wissen: Die Bezeichnung König-Heinrich-Platz ist mit der NS-Zeit und einem Massenmörder verbunden, an den man sich äußerst ungern erinnert – mit Heinrich Himmler, dem Chef der SS. Sein wahnhafter Kult um den „Reichsgründer“ führte in der NS-Zeit zur systematischen Vereinnahmung des frühmittelalterlichen Königs. Die mehr als tausend Jahre zurückliegenden Bestrebungen Heinrichs I., seine Macht auf das Gebiet der sorbischen Slawen auszudehnen und die als unbesiegbar geltenden Ungarn zurückzudrängen, wurden zum Krieg der arischen Herrenrasse gegen die slawischen Völker umgedeutet.

Belege für diese krude Theorie lieferten Historiker. Die geplante Umsiedlungs- und Germanisierungspolitik im Osten Europas wurde damit historisch legitimiert. Die völkisch gestimmte Einigungseuphorie erreichte auch die Duisburger NS-Stadtspitze unter Oberbürgermeister Just Dillgardt, ein Mitglied der SS. Ein Gedenktag zum Tod des frühmittelalterlichen Königs am 2. Juli 936 war ein willkommener Anlass, den Kult um Heinrich I. zu nutzen. Am 1. August 1936 erfolgte die Benennung des zentral gelegenen »Königsplatzes« in »König-Heinrich-Platz». Dies geschah vor dem Hintergrund der »1000-Jahr-Feier König Heinrichs I.«, die als ideologische Inanspruchnahme Heinrichs I. als vermeintlicher Stifter des Deutschen Reichs zu bewerten ist, erklärt Robin Richterich, Historiker und Politologe im Zentrum für Erinnerungskultur.

Es mutet geradezu paradox und grotesk an, dass ausgerechnet der zentralistische NS-Staat, der den Bundesstaat abschaffte, den ostfränkischen König propagandistisch vereinnahmte. Heinrichs erfolgreiche Regierungspraxis war föderal auf Konsens ausgerichtet. Er versuchte möglichst viele Landesfürsten in Entscheidungen einzubinden. Er versammelte Herzöge und Bischöfe auf regionaler Ebene; unter anderem im alten Duisburg. Das Austarieren zwischen zentraler und dezentraler Macht gehört zu seinen Verdiensten. Das Konsensprinzip wurde damit zu einer Grundlage unserer föderalen Verfassungsentwicklung.

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