Duisburger Geschichten und Geschichte Entscheidung für die Kunst

Serie | Duisburg · Der ehemalige Getreidekaufmann Alfred Flechtheim verbreitete die Kunst der Avantgarde, bis er von den Nazis zur Emigration gezwungen wurde.

 Oben rechts: Vorgängerbau Landesarchiv, Getreidespeicher RWSG; links: Titelseite des Buches von Prof. Ottfried Dascher; unten rechts: Lehmbruck-Skulptur „Die Badende”.  Bilder: Stadtarchiv, Nimbus Verlag, Museum Kunstpalast/Collage: Küst

Oben rechts: Vorgängerbau Landesarchiv, Getreidespeicher RWSG; links: Titelseite des Buches von Prof. Ottfried Dascher; unten rechts: Lehmbruck-Skulptur „Die Badende”. Bilder: Stadtarchiv, Nimbus Verlag, Museum Kunstpalast/Collage: Küst

Foto: Stadtarchiv, Nimbus Verlag, Museum Kunstpalast

Alfred Flechtheim (1878–1937) war ein legendärer Kunsthändler, Sammler und Verleger.  Er entstammte einer vermögenden jüdischen Getreidehändlerfamilie. Aber was hat seine Biographie mit Duisburg zu tun? Die Spurensuche führt zum Vorgängerbau des Landesarchivs am Innenhafen. 1935 wurde bei Neubauarbeiten des RWSG-Speichers das Dokument der Grundsteinlegung aus dem Jahr 1888 gefunden. Gründer war Emil Flechtheim, der Vater von Alfred Flechtstein. Die Duisburger Niederlassung firmierte unter Rheinisch-Westfälische Speditions-Gesellschaft. Der Sohn, Alfred Flechtheim, absolvierte seine Ausbildung als Getreidekaufmann in Duisburg, Düsseldorf und Münster. 1902 stieg er in das väterliche Handelsunternehmen ein. Zum Missfallen der Familie war sein Interesse für den Getreidehandel allerdings wenig ausgeprägt. Bei seinen beruflichen Aufenthalten in Paris machte er Bekanntschaft mit der dortigen Kunstszene. Seine Passion galt der Kunst der Avantgarde. 1913 verließ er das Familienunternehmen.  Er heiratete und eröffnete, unterstützt von seiner vermögenden Frau Betti, in Düsseldorf seine erste Galerie. Zu dieser Zeit gehörte er bereits zu den maßgeblichen Sammlern von dreißig Frühwerken Picassos. Er setzte sich früh für den französischen Impressionismus, den Kubismus und den Expressionismus ein.  

Doch Flechtheim engagierte sich auch als Vermittler moderner Skulptur und damit ergibt sich ein weiterer Bezug zu Duisburg. Flechtheim stellte Lehmbrucks Werke wiederholt in seinen Galerien aus; dazu gehörte auch „Die Badende“. Lehmbrucks und Flechtheims Wege kreuzten sich mehrmals – nicht zuletzt durch die Bekanntschaft zu Paul Cassirer (1871-1926), der Lehmbruck als Galerist vertrat und Flechtheim als Geschäftspartner unterstützte.

In der Zeit der Weimarer Republik waren Flechtheims Ga­le­ri­en in Düs­sel­dorf und in Ber­lin Treffpunkt von Prominenz aus Kultur, Politik und Sport. Künstler wie George Grosz, Fernand Léger, Max Beckmann, Paul Klee und andere verkehrten in seiner Galerie. Mit der Welt­wirt­schafts­kri­se im Ok­to­ber 1929 und dem Aufstieg der Nationalsozialisten geriet der Kunsthandel in wirtschaftliche Turbulenzen. Die öffentliche Diffamierung als Jude und Vertreter der „entarteten Kunst“ zwangen Flechtheim 1933 zur Schließung beziehungsweise Übergabe der Galerie an seinen Mitarbeiter Alex Vömel. Ob dieser ein Profiteur, überzeugter Parteigenosse oder Opportunist war, bleibt bis heute im Dunkeln.  Aussagekräftige Dokumente, die den Verdacht der Arisierung belegen könnten, fehlen oder wurden im Krieg vernichtet. Einen Teil seiner Bilder konnte Flechtheim in die Schweiz verlagern, andere musste er ins Ausland verkaufen. Die Auflösung seiner Sammlung in der NS-Zeit war für Flechtheim traumatisch und führte zur Emigration über Paris nach London. Dort starb er verarmt am 9.3.1937 an einer Sepsis in Folge eines Unfalls.

Seine Frau Betti harrte in Berlin aus. Die hohe „Reichsfluchtsteuer“ und ein nicht realisierbarer Immobilienverkauf hinderten seine Frau daran, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Sie nahm sich am 14. November 1941, dem Vorabend ihrer Deportation in ein Vernichtungslager, in ihrer Wohnung das Leben. Die Kunstschätze aus ihrer Berliner Wohnung wurden beschlagnahmt und sind verschollen. Die tragische Lebensgeschichte des Paares ist eng verbunden mit den Themen Restitutionskunst, Kunstraub, Fälschung: Die Flechtstein-Erben fordern Gerechtigkeit und eine angemessene Würdigung ihrer berechtigten Interessen.  Mit der Biographie über Alfred Flechtheim leistete Prof. Ottfried Dascher einen herausragenden Beitrag zur Wiedergutmachung und gab der Herkunftsforschung wesentliche Impulse. Dascher zitiert sinngemäß die Aussage von Thea Klestadt, der Lieblingsnichte Flechtheims. Es wäre schön, wenn einige Museen neben die Bilder ein Schild hängen würden, mit dem sie auf die Herkunft der Bilder hinweisen: Ehemalige Sammlung Alfred Flechtheim. Sie sagte es mit leiser Stimme, aber wer hören konnte, verstand, es war ein Schrei.

Zum Weiterlesen: Ottfried Da­scher, „Es ist was Wahn­sin­ni­ges mit der Kunst“ Al­fred Flecht­heim. Samm­ler, Kunst­händ­ler, Ver­le­ger, Wä­dens­wil 2011.

Ottfried Dascher, Sprung in den Raum – Skulpturen von Alfred Flechtheim

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