Duisburger Geschichten und Geschichte Besatzer wurden ziemlich beste Freunde

Duisburg · Vor 95 Jahren feierten die Duisburger den Abzug der französischen Besatzer. Die Annäherung der beiden Nationen nach dem Krieg ist einzigartig auf der Welt. Die Duisburger deutsch-französische Gesellschaft pflegt die Beziehung.

 Oben: 20. August 1925: Feier über das Ende der Besatzungszeit; unten: 6. September 1962: de Gaulles Rede vor 4000 ATH-Mitarbeitern.

Oben: 20. August 1925: Feier über das Ende der Besatzungszeit; unten: 6. September 1962: de Gaulles Rede vor 4000 ATH-Mitarbeitern.

Foto: Stadtarchiv

Am 25. August 1925 gegen 9 Uhr hatten die letzten französischen und belgischen Soldaten nach fast viereinhalb Jahren Besatzungszeit Duisburg verlassen. Erleichterung machte sich breit. Fünf Tage später strömten Tausende Duisburger zur Befreiungsfeier auf den König Heinrich Platz. Auf Archivbildern sieht man jubelnde Duisburger, die nach Jahren der bitter empfundenen Demütigung und Entehrung das Joch der abziehenden Besatzer abschütteln.  Der Einsatz farbiger Besatzungstruppen hatte offenen Rassismus gefördert. Angehörige der französischen Besatzungstruppen wurden als „Halbbarbaren“ bezeichnet. Überdies wurden schwarzafrikanische Soldaten als eine große Gefahr für deutsche Frauen und Mädchen dargestellt.

Die als ungerecht empfundene Strafe für den verlorenen Ersten Weltkrieg war nicht nur bei Radikalen ein Dauerthema. Der normale Duisburger Bürger litt unter den Einschränkungen. Zensurmaßnahmen, Kontrollen, Verkehrsbeschränkungen, Einquartierungen bei ohnehin herrschender Wohnungsnot beschwerten das Leben der Duisburger. Je länger die Besatzung andauerte, desto heftiger wehrten sich die Bevölkerung – der passive Widerstand wurde mit Streiks vorangetrieben, um die Produktion von Zechen und Stahlhütten zu blockieren.

Es folgten Verhaftungen und Ausweisungen des Oberbürgermeisters Jarres und anderer Aktivisten des Widerstands. Die krisenhafte Zeit kennzeichneten Bombenanschläge und entsprechende Strafmaßnahmen. Der Versuch von Separatisten, das Rheinland vom Reich zu trennen, spiegelt die Zerrissenheit der deutschen Nation wider. Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, wie die Duisburger Bevölkerung darbte. Die galoppierende Inflation trieb den Preis für ein Stück Brot in Milliardenhöhe. Dem Abbruch des passiven Widerstandes und der Stabilisierung der Währung folgte ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.  Der Mittelstand war durch die Inflation um seine Ersparnisse und Rücklagen gebracht, große Teile der Bevölkerung waren verarmt.

Dank Gustav Stresemanns Bemühungen verbesserten sich die Beziehungen mit Frankreich, die außenpolitische Lage schien sich etwas zu entspannen, wie der Truppenabzug erkennen ließ. Einige hofften, dass sich das Reparationenproblem in konstruktiver Weise lösen ließe. Aber die allmähliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage erwies sich als Strohfeuer. Die Geister der politischen Radikalisierung ließen sich nicht vertreiben. Die Zeit der Besatzung hatte nicht nur bei radikalen Kräften Rachegelüste geweckt. Der Versailler Vertrag und die Besatzungszeit waren weiter im kollektiven Gedächtnis gespeichert, emotionalisierten große Teile der Bevölkerung und dienten den Nationalsozialisten 1940 als Rechtfertigung für den Westfeldzug gegen Frankreich.

Im Juni wurde die Kapitulation Frankreichs gegenüber dem Deutschen Reich ebenfalls im Waggon von Compiègne unterzeichnet, genau dort wo die Deutschen auch ihre Niederlage eingestanden. Die gegenseitigen inszenierten Demütigungen belasteten die deutsch-französischen Beziehungen über Jahrzehnte. Adenauer und de Gaulle wurden zu Motoren der Versöhnung.

Für die mentale Wende sorgte am 6. September 1962 die pathetische Rede Charles de Gaulle vor 4000 ATH-Mitarbeitern in deutscher Sprache: „Die Tatsache, dass ich hier mit so viel Jubel empfangen werde, zeigt, dass unsere beiden Völker sich vertrauen“, sagte Frankreichs Staatspräsident. Die ATH-Arbeiter jubelten ihm zu. Eine Zäsur. Aus der historischen Perspektive betrachtet, ist die Annäherung der beiden Nationen nach dem Krieg einzigartig auf der Welt.

Zum Weiterlesen: Zum 70-jährigen Jubiläum der deutsch-französischen Gesellschaft Duisburg im Jahr 2020 wurde die Städtserie mit dem Titel „ So viel Frankreich steckt in Deutschland“ herausgegeben. Empfehlenswerter Link: www.voila-duisburg.de/duisburg/

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