VHS-Vortrag Suche nach dem richtigen Gedenken

Wolfgang Braun, Sprecher der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie, hielt an der Duisburger Volkshochschule einen denkwürdigen Online-Vortrag.

 Wolfgang Braun ist Sprecher der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.

Wolfgang Braun ist Sprecher der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.

Foto: Peter Klucken

Wie durchtrieben-zynisch der völkische AfD-Rechtsaußen Björn Höcke seine Anhänger auf Kurs zu bringen sucht, entlarvte Wolfgang Braun gleich zu Beginn seines Online-Vortrags in der VHS am Montagabend. Dabei zitierte Braun, Sprecher der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, den berüchtigten Satz aus Höckes Rede am 16. Januar 2017. Der lautete: „Wir Deutschen – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier heute versammelt haben – wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Was Höcke seinen grölenden Anhängern nicht sagte, war, dass er eine Formulierung geklaut und in seinem Sinne umgedeutet hatte. Zwei Jahre zuvor hatte nämlich der renommierte britische Kunsthistoriker und Gründungsintendant des Berliner Humboldtforums, Neil McGregor, geschrieben: „Als das ‚neue Berlin‘ entstand, gab es bewusste Versuche, die schmerzlichen Erinnerungen öffentlich zu machen; das sichtbare Beispiel dafür ist das Holocaust-Denkmal für die in Europa ermordeten Juden. Auch daran lässt sich ablesen, das deutsche Denk- und Mahnmale denen anderer Länder nicht gleichen. Jedenfalls kenne ich kein anderes Land, das in der Mitte seiner Hauptstadt ein Mahnmal der eigenen Schande errichtet hätte.“

Während Höcke, so führte Braun in seinem VHS-Vortrag aus, das Denkmal selber als „Schande“ verunglimpft, sieht McGregor in dem Denkmal einen würdigen Versuch, die Erinnerung an die monströsen Untaten, die von deutschen Menschen verübt wurden, vor dem Vergessen zu bewahren. Gedenkkultur und Erinnerungskultur können zweideutig sein, so Braun, der im Weiteren einen Parforcedurchgang im Schwarzbuch der jüngeren Menschheitsgeschichte versuchte. Dabei merkte man als Zuhörer am heimischen Bildschirm, dass an dem einen Abend wichtige Themen nur angerissen werden können. Braun lieferte Stoff für eine mehrteilige Vorlesungsreihe.

Allein die Hintergründe für die offiziellen und offiziösen Gedenktage, die zur deutschen Geschichte gehören, wären ein abendfüllendes Vortragsprogramm. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass der Volkstrauertag früher auch ein „Heldengedenktag“ war. Der 8. Mai ist der Tag, an dem wir an die „Niederlage Nazi-Deutschlands“ und zugleich an die Befreiung vom Nazi-Terror erinnern. Weniger bekannt dürfte sein, dass der 2. August der internationale Tag des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma und der 23. August der europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus ist. Wer in die Geschichte blickt, der könne immer wieder eine gewisse „Dramaturgie“ feststellen. Am 8. Mai 1949 wird das Grundgesetz in den Parlamentarischen Rat eingebracht und am 23. Mai 1949 tritt es in Kraft. Ebenfalls an einem 23. Mai, aber zehn Jahre zuvor, hatte Hitler vor Nazi-Größen den Überfall auf Polen angekündigt. Auch der Kriegsbeginn am 1. September 1939 ist nach Brauns Überzeugung ein von Hitler bewusster gewählter Termin, der den deutschen Sieg gegen Frankreich am 1. September 1870 (Schlacht bei Sedan) spiegeln soll.

Nachdrücklich wies Braun auf die Singularität der Shoa hin, deren Monströsität der Welt zeige, dass so etwas nicht geschehen darf. Zwar könne man selbstverständlich Untaten vergleichen, sonst könne man ja auch die Singularität der Shoa nicht erkenne, doch bedeute vergleichen nicht, dass man etwas gleichsetzen dürfe. Wie dumm so etwas sein kann, zeige das Beispiel der Querdenkerin, die sich selber als „Sophie Scholl in Coronazeiten“ stilisierte. Wer auch nur ein wenig die Geschichte der jungen Widerstandskämpferin, die ihren Einsatz gegen die Nazis mit dem Leben bezahlte, kennt, dem sei die Lächerlichkeit dieser Querdenkerin ohne weitere Argumentation klar.

Wolfgang Brauns Vortrag war ein Aufriss der gesamten Erinnerungskultur, deren Themenfülle in weiteren Vorträgen behandelt werden sollte. Im neuen Semester soll die Geschichtsreihe fortgesetzt werden. Ob mit Präsenzveranstaltungen oder online hängt vom Verlauf der Corona-Pandemie ab.

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