Wie Duisburg zur Universitätsstadt wurde Vor 50 Jahren streikten die Studenten

Auch in Duisburg wurde das Sommersemester 1969 bestreikt. Ohne Streik wäre Duisburg kein Hochschulstandort.

 Nach dem Streik: Vorlesung im Hörsaal an der Bismarckstraße.

Nach dem Streik: Vorlesung im Hörsaal an der Bismarckstraße.

Foto: Stadtarchiv/Stadtarciv

Rückblick auf die Duisburger Bildungslandschaft in den 60er Jahren: Neben der Pädagogischen Hochschule an der Lotharstraße gab es eine traditionsreiche Staatliche Ingenieurschule im Gebäude an der Bismarckstraße in Neudorf. 40 Stunden pro Woche büffelten die Ingenieurschüler, planten Versuchsreihen in Laboratorien und schrieben bis zu 20 Klausuren pro Semester. Die Abbruchquoten waren mit gut 40 Prozent hoch. Auslese und Leistungsorientierung bestimmten das Selbstverständnis. Wer den Abschluss schaffte, war ein graduierter Ingenieur, kein Diplom-Ingenieur, wie damals die Absolventen an den Technischen Hochschulen hießen. Problematisch für das deutsche Bildungssystem erwiesen sich die Römischen Verträge von 1957, die eine europaweit einheitliche Ingenieurausbildung vorsahen. Der Gesetzentwurf stufte graduierte Ingenieure als Techniker ein. Die Absolventen wären keine Ingenieure mehr gewesen – kein Wunder, dass dieser Plan den Protest der Ingenieure in spe hervorrief. Ihre Forderungen: Studentenstatus einer Hochschule mit einem von der EWG anerkannten Ingenieurabschluss.

Die Ministerialbürokratie reagierte mit einer Hinhaltetaktik. Die Antwort der Ingenieurstudenten folgte prompt. Demonstrationen und der Ausruf des Vorlesungsboykotts am 25.4.1968 erhöhten den Druck auf die Politik. Die Kultusbürokratie reagierte im Oktober 1968 mit einem Vorschlag zur Vereinheitlichung des Fachhochschulwesens. Doch im Kleingedruckten wurde der geplanten Fachhochschule weder Selbstverwaltung noch Forschung zugestanden. Rechts- und Fachaufsicht sollte aber weiter bei den Ministerien liegen. Kultusminister Holthoff wurde für die Ingenieurstudenten zum Feindbild. Als die Kultusminister am 7. Juni trotz der massiven Proteste keine Kompromissbereitschaft zeigten, folgte am 11. Juni 1969 der Beschluss der Ingenieur-Studenten, das Sommersemester 1969 zu bestreiken. Durch den Streik verloren die Studenten ein komplettes Semester. Die finanzielle Unterstützung nach dem Honnefer Modell (heute BAföG) wurde von Ministerpräsident Kühn gestoppt. Die Maßnahme beeindruckte die Streikenden nicht. In Duisburg fanden die Studenten der Staatlichen Ingenieurschule mit ihren Aktionen zunehmend Sympathie bei Lehrkräften und in der Politik. Die Höheren Fachschulen für Betriebswirte und Sozialpädagogen waren enge Verbündete und wurden Teil der Bewegung. Die Hartnäckigkeit der Streikenden hatte Erfolg: Im Juli 1969 klärte das vom Düsseldorfer Landtag verabschiedete Fachhochschulgesetz die offenen Punkte und deklarierte Fachhochschulen als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die neben der Lehre auch das Recht auf Forschung besäßen.

Im Sommersemester 1970 startete im Februar wieder der Lehrbetrieb. Es herrschte Aufbruchstimmung. Jetzt musste um den Hochschulstandort Duisburg gekämpft werden. Die Studierenden der ersten Stunde, Werner Ratajczak und Herbert Müller, engagierten sich in den Gründungsorganen Konvent und Senat. Herbert Müller erinnert sich: „Wir hatten konstruktive Gespräche im Duisburger Rathaus. Die kommunale Politik unterstützte unsere Forderungen. Nicht zuletzt, um nicht als Anhängsel anderer Städte unter die Räder zu geraten.“ Der neue Wissenschaftsminister Johannes Rau profilierte sich als Reformer. 1971 entstand die neu gegründete Fachhochschule. Die Studenten strebten den Dipl. Ing (FH) an, der bald darauf den zuvor ausgestellten Ing. (grad) ablöste. Alfred Alshut, 73er-Absolvent: „Allgemeinwissenschaftliche Seminare waren verpflichtend; sie motivierten mich damals für ein weiteres Studium an der Ruhr-Universität.“ 1973 machten die Ingenieurstudenten ihren Abschluss, aber auf dem Abschlusszeugnis stand jetzt Gesamthochschule. Johannes Rau hatte mit den fünf Gesamthochschulen in NRW eine Einrichtung im Hau-Ruck-Verfahren politisch durchgesetzt. Mit dieser Weichenstellung und einer erweiterten Personal- und Sachausstattung gelang es, Duisburg wieder zur Universitätsstadt zu machen.

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