Lesung in Duisburg Parvenü und Opfer der Nazi-Raubmörder

Duisburg · Shelly Kupferberg stellte in der Alten Brotfabrik des Künstlers Cyrus Overbeck in Duisburg ihren biografischen Roman und Bestseller „Isidor“ vor, der das Schicksal ihres Urgroßonkels fesselnd schildert.

Autorin Shelly Kupferberg mit Moderator Ludger Heid.

Autorin Shelly Kupferberg mit Moderator Ludger Heid.

Foto: Peter Klucken

Die jüngsten Stationen ihrer Lesereise waren München, Hamburg und Berlin. Jetzt stellte Shelly Kupferberg ihren biografischen Roman „Isidor“, der das Schicksal ihres Urgronkels schildert, in der Alten Brotfabrik des Duisburger Künstlers Cyrus Overbeck vor. Zwar fasst der schon recht große Raum, in der früher Brote gebacken wurden und den Overbeck nun als Atelier nutzt, nicht so viele Menschen wie die Säle, in der Shelly Kupferberg sonst liest, gleichwohl war der Ort für „Isidor“ nicht nur in den Augen der Autorin etwas Besonderes. Die Overbecksche Brotfabrik im Duisburger Norden war, was die meisten aus dem Publikum wussten, einst eine Widerstandszelle gegen die Nazis. Cyrus Overbecks Großvater und einige seiner Vertrauten backten Flugblätter gegen Hitler in Brotlaiber ein. Daran erinnerte Cyrus Overbeck in seiner Begrüßung, bei der er Shelly Kupferbergs „Isidor“ als „literarischen Stolperstein“ bezeichnete.

Vorzüglich moderiert wurde der Abend von Ludger Heid. Es lag auf der Hand, dass der Duisburger Historiker diese Aufgabe übernahm. Heids externer Doktorvater und späterer Gutachter seiner Habilitation war Walter Grab (1919 bis 2000), der Großvater von Shelly Kupferberg. „Ohne Walter Grab hätte ich den , Isidor' niemals schreiben können“, gestand Shelly Kupferberg. Im Roman ist Walter Grab, der bei Isidor Geller, als Jugendlicher und junger Mann regelmäßig zu Besuch war, als Augenzeuge der Geschehnisse nahezu allgegenwärtig. Seine Erzählungen waren neben umfangreichen Recherchen die Grundlage für das Buch. Dass Walter Grab die Doktorarbeit von Joseph Ludger Heid betreute, ist übrigens kein Zufall: Grab war in den 80er Jahren Gastprofessor an der Duisburger Uni und war darüber hinaus eine Zeitlang auch im Duisburger Kulturleben präsent, u.a. bei den Akzenten.

In der Alten Brotfabrik erzählte Shelly Kupferberg, wie sie auf ihr „Thema“ kam. Sie las einige Kapitel aus „Isidor“ und zeigte am Schluss Fotos aus dem Leben ihres Urgroßonkels. Für Überleitungen sorgte Moderator Heid. Shelly Kupferberg, im Hauptberuf eine renommierte Rundfunk-und Fernsehjournalistin, ist eine glänzende Erzählerin und Vorleserin. In ihrem biogafischen Roman wechseln sich Berichterstattung, lebendige wirklichkeitsnahe Schilderungen und reflexive Passagen gekonnt ab. Wer anfängt zu lesen, lässt sich ungern unterbrechen.. Nicht nur Heid hat die 240 Seiten des „Isidor“ an einem Tag gelesen.

Das liegt natürlich auch an Isidor Geller, den Shelly Kupferberg in ihrem Buch als „ein Emporkömmling, exzentrisch, ein Parvenü, ein Multimillionär, hier und da ein Hochstapler, ein Mann der Tat und von Welt“ vorstellt. Ohne Abschweifungen und mitunter voller Witz schildert die Autorin den Werdegang ihres eigensinnigen und stolzen Urgroßonkels, der in ärmlichen Verhältnissen im „hinterletzten Winkel Ostgaliziens“ geboren wurde, der als herausragend guter Schüler die Chance zum Studium bekam und in Wien schließlich Kommerzialrat und wirtschaftlicher Berater des österreichischen Staates wurde. Ihm könne keiner etwas anhaben, auch die Nazis nicht, habe Isidor geglaubt. Er hatte sich furchtbar geirrt. 1938 trieben die Nazis in Wien Isidor in den Tod.

Als Leser und jetzt als Zuhörer verfolgt man gebannt der Spurensuche der Autorin, erfreut sich an den vielen amüsanten Schilderungen besonders der sonntäglichen Mahlzeiten mit vielen, bisweilen komischen Gästen und den kuriosen Prüfungsfragen, die Onkel Isidor seinem hochbegabten Neffen Walter stellt und die dieser locker beantworten kann. Erschüttert ist man als Leser und Zuhörer vom brutalen Ende des Urgroßonkels durch die Nazis, die sich Isidors gesamten Besitz einverleiben und die, wie Moderator Heid feststellt, nicht nur Mörder, sondern Raubmörder sind.

In ihrem Buch fragt die Autorin: „Was bleibt von einem Menschen übrig, wenn nichts mehr von ihm übrigbleibt?“ Mit ihrem Buch „Isidor“ gibt Shelly Kupferberg eine Antwort, die menschlicher nicht hätte ausfallen können.

Es war ein großartiger Abend inmitten der künstlerischen Werke von Cyrus Overbeck, der Shelly Kupferberg vor einem riesigen Porträt von Sophie Scholl einen Platz gab.

Nach ihrem Roman-Debüt „Isidor“ arbeit Shelly Kupferberg aktuell an einem Buch über den Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen, der als Schüler in Duisburg lebte und am Steinbart-Gymnasium sein Abitur gemacht hatte.

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