Persönlicher Familienroman Blick der Mutter auf ihre Tochter

Rheinhausen · Sabine Thomas hat mit „Diese Dinge verschwinden nicht so leicht“ einen sehr persönlichen Familienroman geschrieben und ihn Ende vergangenen Jahres veröffentlicht. Er ist autofiktional und stellt das Verhältnis von Mutter und Tochter in den Mittelpunkt seiner Erzählung.

 Sabine Thomas hat einen lesenswerten Roman geschireben.

Sabine Thomas hat einen lesenswerten Roman geschireben.

Foto: ST

Auf den Erzählband „Und konnten es einfach nicht fassen“ (2013), von dem es auch ein Hörbuch gibt, das Désirée Nosbusch eingelesen hat, folgte 2016 die Anthologie „Hell wie der Mond und stark wie Eisen“. 2019 erschien dann der Rheinhausen-Krimi „Ein alter Schmerz“, der für den Literaturpreis Ruhr 2020 nominiert war. Verfasserin jener Bücher, die alle in der Deutschen Hörbibliothek für Blinde eingelesen sind, ist Sabine Thomas, die 35 Jahre lang Rechtsanwältin für Familienrecht in Duisburg war und jetzt im Ruhestand ist.

 Vor rund zehn Jahren fing sie mit dem literarischen Schreiben für den Büchermarkt an, sie, die 1955 in Schleswig geborene, in Essen aufgewachsene, lange Zeit in Duisburg arbeitende und wohnende, heute in Bonn lebende Autorin. Ihr Ende 2021 erschienener Roman „Diese Dinge verschwinden nicht so leicht“ ist Thomas‘ vierte Veröffentlichung. Dabei ist ihr eine ganz besondere autofiktionale Erzählung gelungen, die trotz ungeheurer erlebter Geschehnisse einen sensibel mitfühlenden Blick auf die Hauptfigur der Geschichte und deren andererseits wiederum aufwühlendes Leben wirft: Es ist ein Blick der Tochter auf ihre Mutter – Elisabeth Gronewold, geborene Schnur.

 Es sei ihr bisher wichtigstes, weil persönlichstes Buch, das vom Inhalt her zeitlich zwischen 1943 und 1993 spielt und hauptsächlich in Schleswig und Essen angesiedelt ist, sagt Thomas. Gewidmet hat sie es ihrer Schwester und Wegbereiterin – kurz: ihrem „Lebensmenschen“, wie sie sie würdigt. Neben der Familiengeschichte handelt der Roman aber auch von den politischen Wandlungen und dem beschwerlichen Alltag in den fünf Jahrzehnten zwischen den letzten Kriegstagen und den Anfangsjahren der Wiedervereinigung. „Er enthält viel Zeitkolorit und anschauliche Beschreibungen der verschiedenen Milieus, vor allem Norddeutschlands und des Ruhrgebiets“, heißt es dazu im Klappentext.

 Der formale Aufbau des Buches besteht aus drei Teilen mit insgesamt 26 Kapiteln einschließlich zweier sehr persönlicher Zwischenstücke, einem Prolog und einem Epilog der Tochter als Ich-Erzählerin. Ansonsten steht Elisabeths Leben, also das ihrer Mutter, im Zentrum der Erzählung. Thomas zeichnet deren Leben aber nicht chronologisch nach, sondern schildert es in Form von Zeitsprüngen zwischen den Jahren 1943, dem Jahr des Kennenlernens ihres Ehemannes, und 1993, dem Jahr ihres Ablebens.

 An handelnden Personen hat der Roman vor allem die Mitglieder des engsten Familienkreises Gronewold im Blick. Als da wären die jüngere Tochter Gundula, der Autorin nachempfunden und wohl deshalb immer wieder einmal als Ich-Erzählerin auftretend, sowie ihre Mutter Elisabeth. Gundula hat noch eine ältere Schwester namens Lieselotte, genannt Lilo, während Elisabeth noch zwei Geschwister hat, nämlich die drei Jahre jüngere Agnes und das Nesthäkchen Rosemarie, auch Röschen genannt. Der Vater von Gundula und Lilo beziehungsweise Ehemann von Elisabeth heißt Rolf. Er ist 1916 geboren und 1986 ebenso an Krebs verstorben, wie seine Frau Elisabeth sieben Jahre später.

 Die Beschreibungen von häuslicher Gewalt, die die Eltern der älteren Tochter antun, sind beklemmend. „Erziehung kommt von ziehen. Erziehung muss weh tun, sonst nützt sie nichts“, sagt Rolf, der Vater, in Kapitel 14. Und weiter heißt es dort: „Elisabeths Eltern hatten es schon so mit ihr gehalten und auch Rolfs Eltern mit ihm.“ Vor diesem Hintergrund und unter diesen Gegebenheiten nehmen die Ereignisse der mit Personen vollgespickten Familiensaga ihren Lauf. Doch trotz manch bedrückender Situationsbeschreibung erfahren die Leserinnen und Leser gekonnt formulierte, detailverliebte Schilderungen, die von großem Erkenntnis- und Unterhaltungswert gekrönt sind.

 Der Titel des Buches ist im Übrigen einer Textstelle in Kapitel 18 entnommen: Elisabeth fragt sich, wieviel von ihrem Lebensweg durch eigene Entscheidungen begründet ist und kommt zu dem Schluss, dass vieles ihr schicksalhaft widerfahren ist und traumatisch auf sie gewirkt hat, ohne dass sie darauf Einfluss hätte nehmen können. Sie sagt dazu: „Diese Dinge verschwinden nicht so leicht, bloß weil man will.“

 Als Teil dieser Familiengeschichte meldet sich immer wieder auch die große Weltpolitik zu Wort und taucht mehr als nur zwischenzeilig in Thomas‘ Erzählung auf. Auf diese Weise macht sie deutlich, welchen Einfluss politische Systeme und Großwetterlagen auf Gesellschaft und Familie haben, sei es wie in diesem Buch zum Beispiel die Nazidiktatur, die Nachkriegszeit und der Wiederaufbau, der Kalte Krieg und die Kuba-Krise, der Kniefall von Warschau, Glasnost und Perestroika bis in diese Tage hinein mit der Pandemie.

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