„Rheingold“ und „Die Walküre“ Konzertante Aufführungen als Glück im Unglück

Duisburg · Zwei musikalische Wagner-Aufführungen: „Rheingold“ und „Die Walküre“ als Konzert-Abende auf Weltklasse-Niveau in der Mercatorhalle.

 Axel Kober (r.) und sein Walküre-Ensemble begeisterten das Publikum.

Axel Kober (r.) und sein Walküre-Ensemble begeisterten das Publikum.

Foto: Thomas Bremser

Einen Hügel wie Bayreuth hat die Mercatorhalle zu Duisburg nicht. Prominentester Hügel in Duisburg ist der Kaiserberg – und da ist der Duisburger Zoo. Eine bestimmte Spezies, die wir Menschheit nennen, wandelt dort, vor animalischer Unbill geschützt, in diesen Tagen suchend und staunend herum: Am Donnerstag gab es „Das Rheingold“ und am Sonntag „Die Walküre“.


Rheingold
Der projizierte Text von „Rheingold“, dem Vorspiel aus dem Ring der Nibelungen, machte sich sehr nützlich, und zeigte überdeutlich, dass jede Silbe eine bestimmte, kryptische Assoziation verfolgt und dass das Wagnersche Versmaß dem romantischen Liedergesang verpflichtet ist. Alberich, eine kleine monströse Figur in dieser tierischen Familiengeschichte war an diesem Abend fabelhaft besetzt; wie alle Protagonistinnen und Protagonisten


Weltklasse Ein Weltklasse-Ensemble hatte Axel Kober dort am Start. Im Übrigen hat Bayreuth etwas sehr Wichtiges für dieses Gesamtkunstwerk nicht: den Rhein. Und dieser Strom floss durch die Musiker der Duisburger Philharmoniker. In der Ruhmeshalle der Weltorchester katapultierte sich dieses Orchester, an diesem Abend, gleich in die ersten Ränge.


Das Rheinwasser
Was für ein Rheinwasser, dass da in Verbindung mit den Silben-Sängerinnen, den wohldisponierten Rheintöchtern Heidi Elisabeth Meier, Roswitha Christina Müller und Anna Harvey, da vokal sprudelte. Eine wonnigliche Terzett-Harmonie mit Undinen-Klängen und Lockungen. Wagner brabbelt an dieser Stelle über tiefgründige, eigentlich (un)artikulierbare Seelenlagen. Eine Art vorbewusstes, regressives Fabulieren.


Familienaufstellung
Aber zurück zu dieser ehrenwerten Familie, diesem normalen Wahnsinn, mit Wotan, herausragend, stimmlich warm und weich timbrierten James Rutherford. Also eine Familie, im innersten zerstritten und die eigentlich nur Eines im Sinn hat: Gold und Macht! Masochisten, Sadisten – jegliche Couleur der menschlichen Abgründe tauchen auf. Die wunderbare Katarzyna Kuncio, Fricka, mit Ihrer unnachahmlichen Sopran-Potenz. Sylvia Hamvasi als Freia, stimmschön und gut gewählt von Axel Kober. Im Masochisten-Familien-Bereich, Mime, darstellerisch und sängerisch brillant von Florian Simson. Stimmgewalt und mit dem prächtigen Donner, von David Jerusalem, mal so richtig auf den Tisch hauen konnten, stimmlich hervorragend Fasolt, Thorsten Grümbel und Lukasz Konieczny als Fafner.

Prima Donna? Primo Uomo?
Der wunderbare Sängerwettstreit, da konzertant, hatte auch seine maskulinen „Primadonnen“. Loge, sehr schön geführt, die Tenorstimme von Raymond Very – präsent und kraftvoll. Ein exzellenter Bernhard Berchtold als strahlender Tenor-Froh.


Alberich
Und nun zu Alberich – mit Jochen Schmeckenbecher ein sahniger, psychologisierender, belcantöser Ausnahmesänger. In Farbe und Resonanz eine Pracht. Darstellerisch hatte man das Gefühl, dass er seine Partie aufgegessen hätte, so verschlingend, spannend und lauschend brachte er das Duisburger Publikum in seinen Bann. Ihm, ja diesem großartigen Sänger huldigte das Publikum in Beifallsstürmen. Die Sahnehaube des Gesangsfestes und verschlungenen Familientragödie, war die dunkele, ins Mark erschütternde Stimme von Ramona Zaharia, die ihre Erda kunstvoll, mit dramatischer Diktion versah und strahlend erblühen ließ.


Die Walküre
Ausgerechnet am Europa-Wahlabend brachte die Deutsche Oper am Rhein das nicht nur von Adorno gescholtene Stück Kultur-u. Musikgeschichte. Als apokalyptisches Familiendrama, gespickt mit allen Todsünden, die das Menschengeschlecht aufzubieten hat, sah der Kritiker vor der Bühne plötzlich zahllose Filmkomponisten, mit dem Kopf nach unten liegend, wie bei einer Priesterweihe, laut skandierend Abbitte leisten: „Ja Meister, wir haben viel von Dir gestohlen!“ Zum Glück war es nur ein Tagtraum.

Liebesschlingen
Den Film, den diese Musik in den Kopf schleuderte, hätte ich mir gerne nochmal angesehen. Wagner riss das Publikum in einen martialischen Gefühlsstrudel – eine psychoanalytische Schnellreise durch die Probleme nicht nur der Europäer. Macht, Gier, Vergeltung, mörderische Mechanismen der Unterdrückung und am Ende eine kaputte, in Liebesschlingen gefangene, wirklich ungesunde Vater-Tochter-Beziehung.


Berauschend
Was für eine Musik durchflutete die zu 70 Prozent gefüllte Mercatorhalle? Berauschend! Trotzdem hätte sich Richard Wagner einige unangenehme Fragen über seinen Antisemitismus gefallen lassen müssen, aber das tun wir nicht an dieser Stelle. An diesem Abend ging es ausschließlich um Gesang und um ein wunderbares Duisburger Orchester. Deshalb „labte“ solch ein konzertanter Abend besonders gut. Das Werk wurde gelüftet und neu fokussiert auf die Musik und wie in einer Bilderreise der eigenen Fantasie überlassen. Die konzertante Notlösung, siehe oben, war auch an diesem Abend ein großer Gewinn.


Brillante Kehlen
Die Besetzung hatte auch dieses Mal wieder Weltniveau! Michaela Kaune als Herz zerreißende Sieglinde, mit brillanter Stimmgebung, großem Ausdruck und herrlich warm timbriert. Michael Weinius war als Siegmund eine Offenbarung. Zielsicher und klug führte er seinen lyrischen Heldentenor mit sicheren, atemberaubenden Kantilenen. Das wonnige Paar wirkte wahrlich wunderbar. Kammersängerin Linda Watson war und ist Brünnhilde. Sie ist eine dieser Menschensängerinnen, wie es z.B. Martha Mödl war, die auch ohne Klang, nur mit Präsenz eine Bühne strahlend beleuchten können. Linda Watsons Stimme war im Mezza Voce äußerst reichhaltig, edel und kostbar ihr Klang. Sie bestand die „mörderische“ Partie bis in die höchsten Höhen des sängerischen Walhalls. Katarzyna Kuncio war, wie schon im Rheingold als Fricka, hervorragend disponiert. Mit leuchtender Stimme und fabelhaftem Ausdruck sang sie sich in die Herzen des Publikums. Der grimmige Jagdgeselle Hunding war mit Lukasz Konieczny sehr gut besetzt. Vor drei Tagen noch als Riese Fafner im Rheingold, sang er klangvoll, kraftvoll und nuancenreich.

Wotan
An diesem Abend aber lag Wotan, gesungen von James Rutherford, im Sängerwettstreit eine Nasenlänge vorn. Wie er während des Abends am Ende desdritten Aufzuges über sich hinauswuchs, war atemberaubend. Klang um Klang, Silbe um Silbe formte Rutherford formantenreich seine BassSpezereien und beflügelte sich selbst mit immer mehr resonanter Klangschönheit.

Walküren-Meistersängerinnen Eine ganz große Überraschung und mondän gekleidete Augenweide waren die acht weiteren Walküren. Anke Krabbe als Helmwige, Jessica Stavros Gerhilde, Katja Levin Ortlinde, Romana Noack Waltraute, Zuzana Sveda Siegrune, Maria Hilmes Roßweiße, Katharina von Bülow Grimgerde und Uta Christina Georg Schwertleite. Alle acht Damen konnten solistisch, als auch im Ensemble die schwierigen Partien sehr gut meistern. Acht Meistersängerinnen


Überirdische Klänge Die Duisburger Philharmoniker waren unter Axel Kober wieder Spitzenklasse, homogener Klangkörper und Liedbegleiter mit superben Soloparts auf höchstem Niveau. Axel Kober hatte den Fantasie-Monumentalfilm im Griff und formte überirdische Klänge. Zwischen den 3 Aufzügen gab es tosenden Applaus. Das Kopfkino endete in einem Orkan von stehendem Beifall und vielen „Vorhängen“.

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