Zweitgrößtes Shopping-Center Europas geplant Duisburg: Mieter weichen Outlet-Center

Duisburg · In Duisburg-Marxloh sollen die Bewohner einer Arbeitersiedlung aus ihren Wohnungen ziehen, um Platz für das zweitgrößte Shopping-Center für Fabrikverkäufe Europas zu machen. Viele sind schon weggezogen. Doch eine Bürgerinitiative will nicht weichen. Die Mitglieder fühlen sich bedroht.

 Das Ehepaar Magdalena und Udo Balzer hielt nach eigenen Angaben dem Druck des Investors nicht stand und zieht jetzt in eine neue Wohnung. Knapp die Hälfte der 394 Wohnungen steht bereits leer

Das Ehepaar Magdalena und Udo Balzer hielt nach eigenen Angaben dem Druck des Investors nicht stand und zieht jetzt in eine neue Wohnung. Knapp die Hälfte der 394 Wohnungen steht bereits leer

Foto: Probst, Andreas

Mit verschränkten Armen stehen Magdalena (59) und Udo Balzer (63) vor dem Hochhaus, in dem gerade ihre Wohnung aufgelöst wird. Das Ehepaar schaut den Möbelpackern zu, die beinahe sein gesamtes Hab und Gut durch das Wohnzimmerfenster aus der zweiten Etage des Gebäudes mit einer elektrischen Leiter nach draußen in einen Lastwagen befördern. "Wir wollten nicht wegziehen, aber wir konnten dem Druck, der auf uns ausgeübt wurde, nicht länger standhalten", sagt Udo Balzer. Der monatelange Streit mit seinem Vermieter, einer Immobiliengesellschaft, habe ihn krank gemacht. Er leidet unter schweren Depressionen. "Das war psychologische Kriegsführung, mit der wir rausgedrängt wurden", sagt er.

Die Balzers sind nicht die Einzigen, die den Kampf um den Erhalt ihrer Siedlung aufgegeben haben. Knapp die Hälfte der 394 Wohnungen der Zinkhüttensiedlung neben dem Gelände der Rhein-Ruhr-Halle in Duisburg-Marxloh steht schon leer. Seit Herbst vergangenen Jahres wissen die vorwiegend älteren Bewohner, dass ihre Siedlung abgerissen werden soll, dass ein niederländischer Investor an gleicher Stelle das zweitgrößte Factory-Outlet-Center (FOC) Europas bauen will. Auf 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen im "Designer Outlet Village" — ähnlich wie in Roermond — rund 140 Geschäfte entstehen. Hinzu kommen mindestens 2000 Parkplätze. Der Rat der Stadt Duisburg stimmte dem Projekt fast geschlossen zu (74 von 75 Stimmen). Der Investor verspricht neue Arbeitsplätze, die Lokalpolitik träumt von einer Neubelebung des gebeutelten Stadtteils. Bereits Ende des Jahres sollen die Bagger anrollen. Die Eröffnung ist für November 2013 vorgesehen. Man rechnet jährlich mit bis zu 2,7 Millionen Besuchern.

Doch die Mieter stehen dem millionenschweren Bauprojekt im Weg. Zwar bröckelt allmählich der Widerstand in der Arbeitersiedlung. Aber immer noch sind etwa 200 Wohnungen nicht geräumt. Ein Großteil der Siedlung ist mit Protestaufrufen plakatiert, auf denen zum Widerstand aufgefordert und zum Durchhalten animiert wird. Von Balkonen hängen meterlange Plakate, auf denen der niederländische Investor entweder als "fliegender Holländer" bezeichnet oder als geldgierige Heuschrecke dargestellt wird. Auf einem steht: "Wir bleiben stehen. Der Holländer muss gehen". Eine Bürgerinitiative kämpft energisch gegen den Abriss der Siedlung. "Wir werden auf keinen Fall ausziehen", sagt Helga Vocke.

Die 69 Jahre alte Frau ist Mitglied der Initiative. Ihr Anwalt habe ihr gesagt, dass sie nicht vor die Tür gesetzt werden könne. "Man kann uns nicht gegen unseren Willen die Wohnung kündigen", sagt sie. Mit ihrem Ehemann Franz wohnt sie seit 48 Jahren in der Siedlung, die die August-Thyssen-Werke in den Jahren 1961/62 für ihre Mitarbeiter bauen ließen. Nach mehreren Eigentümerwechseln gehört der Komplex derzeit noch dem Immobilienkonzern Immeo. Zwar verkaufte das Unternehmen mit Sitz in Oberhausen die gesamte Wohnsiedlung bereits im November vergangenen Jahres an den Investor, die Douvil GmbH. Doch der Kaufvertrag ist noch an einige Bedingungen geknüpft, ehe er vollends in Kraft tritt. Immeo muss demnach etwa den Umzug der Mieter organisieren, also sie dazu bewegen, freiwillig ausziehen. "Wir bieten allen alternative Wohnungen an und bezahlen ihnen den Umzug", sagt Immeo-Sprecher Ulrich Risthaus. In Duisburg stünden derzeit mehr als 14 000 Wohnungen leer, sagt er und kündigt an: "Wir müssen und wir werden alle Wohnungen räumen."

Die Vockes lassen sich von solchen Ankündigungen nicht beirren. Sie fühlen sich im Recht. Doch die Anfeindungen gegen sie nehmen zu. Das Ehepaar und die anderen Mitglieder der Bürgerinitiative haben nach eigner Aussage schon anonyme Drohbriefe erhalten, in denen sie aufgefordert werden, ihren Protest aufzugeben und die Siedlung zu verlassen. "Zuletzt war unsere Eingangstür in roter Farbe mit der Parole ,Hau ab!' beschmiert worden", sagt Helga Vocke. Die Bürgerinitiative hat bei der Polizei Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. "Da kann nur jemand hinter stecken, der großes Interesse daran hat, dass das Outletcenter gebaut wird", sagt die 69-Jährige. "Aber durch solche Aktionen lassen wir uns nicht von unserem Weg abbringen. Wir lassen uns nicht vertreiben", bekräftigt sie.

Aber auch den Vockes entgeht nicht, dass täglich mehr Möbelwagen in die Siedlung fahren — wie etwa zu ihren Nachbarn ein Haus weiter, den Balzers. Das Ehepaar habe 2500 Euro "Auszugsprämie", wie sie es nennen, von Immeo erhalten, damit sie wegziehen. "Mit dem Geld können wir gerade so den Umzug finanzieren", sagt Udo Balzer. Das Immobilienunternehmen habe ihnen drei Wohnungen als Alternative angeboten. "Alle unbewohnbar", sagt der 63-Jährige. Die Eheleute haben sich selbst eine neue Bleibe gesucht, zwei Kilometer entfernt von der Zinkhüttensiedlung.

(RP/ila/rm/top)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort