Marxloh Coole Vorbilder für bessere Bildung

Duisburg · Das Marxloher Projekt „Tausche Bildung für Wohnung“ wurde in Berlin mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis ausgezeichnet. Etwa 80 Kinder bekommen Nachhilfeunterricht.

 Der Verein „Tausche Bildung gegen Wohnen“ rekrutiert vor allem Studenten als Bildungspaten.

Der Verein „Tausche Bildung gegen Wohnen“ rekrutiert vor allem Studenten als Bildungspaten.

Foto: Andreas Probst/Andreas Probst (apr)

Auf dem großen Platz gegenüber stand einst die Paulskirche. „Die wurde 2014 abgerissen, weil sie nicht mehr gebraucht wurde“, erzählt Lena Wiewell. Die 33-jährige Architektin ist Vorsitzende des Vereins „Tausche Bildung für Wohnen“, den es schon seit 2012 gibt, doch seitdem er in Berlin den bundesweiten Nachbarschaftspreis bekommen hat, ist das mediale Interesse so groß, dass ein Fernsehteam das andere jagt. Gegründet wurde der Verein 2012, und zwar von Mustafa Tazeoglu und Christine Blecks. Mustafa wollte den Kindern in Marxloh, wo er selbst aufgewachsen ist, bessere Bildungschancen ermöglichen. Außerdem coole Vorbilder auch auf Lehrerseite schaffen, die ihnen Wissen vermitteln. Während Mustafa inzwischen ausgeschieden ist, hat Christine Blecks das Projekt weitergeleitet und vor einem Jahr an Lena Wiewell übergeben.

Derzeit sind im Haus an der Paulskirche 9 acht Bildungspaten beschäftigt, davon fünf im Bundesfreiwilligendienst, der 39,5 Arbeitsstunden die Woche vorsieht, ein Taschengeld für den Aufwand wird auch gezahlt. Die übrigen haben gerade ihr Abitur bestanden und sind als Studenten angestellt. Ihre Arbeitszeit liegt bei zehn Stunden pro Woche. Der September ist der Ausbildungsmonat, da laufen im Haus den ganzen Tag intensive Fortbildungs -und Coachingprogramme. Sie werden für die Nachhilfe fit gemacht. Als Dankeschön gibt’s kostenfreien Wohnraum. Doch nicht alle Bildungspaten belegen die beiden Wohnungen, die zwei Straßen weiter mietfrei zur Verfügung gestellt werden. Im Moment wohnen nur drei Leute in den beiden Wohnungen, die immerhin 85 Quadratmeter groß sind und für jeweils drei Bewohner ausgelegt sind. Die anderen Bildungspaten haben sich in anderen Vierteln etwas gesucht, einige kommen aus der Gegend und wohnen noch zu Hause. Das bedeutet, dass noch drei Bildungspaten hier Unterkunft finden können.

Die Voraussetzungen, um Bildungspate zu werden: Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein, ein einwandfreies Führungszeugnis haben und eine große Motivation mitbringen, sich auf die Kinder einzulassen. „Tausche Bildung für Wohnen“ heißt das Projekt, das eine klare Absicht verfolgt: Kindern mit Lernschwierigkeiten zu helfen, damit sie den Anschluss in der Klasse nicht verlieren. „Derzeit führen wir Gespräche mit neuen Bewerbern als Bildungspaten“, berichtet Lena Wiewell.

Das Haus An der Paulskirche 9 ist ein in die Jahre gekommener gelber Altbau mit leicht morbidem Charme. Hier wohnte einst der Kaplan der Paulskirche, die Kirche als Eigentümer hat es dem Verein fünf Jahre mietfrei zur Verfügung gestellt. Im Sommer 2019 läuft der Vertrag aus, doch das Team um Lena Wiewell ist optimistisch. „Wir sind schon im Gespräch mit Wohnungsbaugesellschaften, die Verhandlungen laufen“.

Auf geräumigen 140 Quadratmetern im Erdgeschoss unterrichten die intensiv geschulten Bildungspaten die Kinder von der ersten. bis zur siebten Klasse. Etwa 80 Kinder aus Marxloh nehmen das Angebot in Anspruch. Anfangs kommen sie mit den Müttern hierher, haben ein Beratungsgespräch mit dem Team, finden heraus, wo die Schwachstellen liegen und bekommen einen Stundenplan von montags bis freitags. In zwei Gruppen läuft die Nachhilfe hier, und zwar von 14 bis 15.30 Uhr und von 16 bis 17.30 Uhr, je nach Unterrichtszeiten und nach Alter der Kinder.

Dann kommt die Bürokratie. „Die ist eine riesige Hürde. Wir müssen extra eine 450-Euro-Kraft einstellen, um die ganzen Formulare zu bearbeiten. Das ist kontraproduktiv. Einerseits sind wir mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, weil das Projekt einfach gut ist, auf der anderen Seite frisst die Bürokratie Zeit und Energie, die wir lieber in unsere Aufgaben stecken möchten“, kritisiert die junge Frau.

Die Stimmung im Haus ist gut, das Team ist jung, gebildet und vor allem hochmotiviert. Man spürt den Idealismus der Leute, sie wollen bessere Bedingungen für die Kinder schaffen und etwas bewegen. „Die Bildungspaten haben alle Bock auf das Projekt“, sagt Lena Wiewill. Sie hat Architektur in Siegen und Lübeck studiert und sich auf Stadtplanung konzentriert. Vor vier Jahren zog sie im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes als erste Bildungspatin für „Tausche Bildung für Wohnen“ nach Marxloh. „Die Gegend ist schön, ich biete auch Stadtführungen an“, sagt die couragierte junge Frau. Und sie ist geblieben.

In der Marxloher Herbert-Grillo-Gesamtschule ist seit 1996 Schulsozialarbeit ein Baustein der Schule. „Unsere Bildungspaten sind eng mit der Schule verdrahtet“, betont Lena Wiewell. Und was Mustafa Tazeoglu wichtig war, nimmt sich das Team „Tausche Bildung für Wohnen“ auch vor: Coole Lehrer mit Vorbildcharakter sollen Schüler ermutigen, gleichzeitigt gibt es einen hohen Wohnungsleerstand in Marxloh und einfach einen großen Bedarf.

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