Vorwurf: Stadt lässt Roma im Stich Humanitäre Katastrophe in Marxloh

Duisburg · Die Kinderkrankenschwester Sylvia Brennemann engagiert sich in Marxloh für Roma-Familien. Deren Lebenssituation sei oftmals katastrophal, meint sie. Die Stadt tue zu wenig für diese Menschen.

 Pater Oliver Potschien hat im Marxloher Petershof gemeinsam mit Sylvia Brennemann eine Krankenstation für Bedürftige eingerichtet.

Pater Oliver Potschien hat im Marxloher Petershof gemeinsam mit Sylvia Brennemann eine Krankenstation für Bedürftige eingerichtet.

Foto: Achim Pohl

Sylvia Brennemann bezeichnet sich selber als Ur-Marxloherin. Sie engagiert sich mit Herz und Hirn für die Roma-Familien in ihrem Stadtteil und wirft der Stadt vor, sich keinen Deut für das Bleiberecht und lebenswerte Umstände der Familien aus Rumänien und Bulgarien zu interessieren.

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, sagt die Kinderkrankenschwester. Das als Vorwurf gemeinte Zitat zieht sich wie ein dunkelroter Faden durch ihren lebhaften Vortrag im vollbesetzten Saal im Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie am Karmelplatz. „Wenn meine Kinder hungern müssten, würde ich auch die Gesetzesgrenzen missachten“, sagt Sylvia Brennemann. Dabei unterteilte sie ihren Vortrag zum Thema „Antiziganismus in Marxloh“, Abneigung gegen Sinti und Roma, in drei wichtige Themen: Wohnen, Arbeit und Gesundheit.

„Dass die Roma ausgerechnet nach Marxloh gekommen sind, hängt einfach mit den Leerständen in den Häusern zusammen, die in katastrophalem Zustand sind.“ Die meisten Roma-Einwanderer lebten vom Kindergeld, wohnten in Unterkünften, die weder Strom noch Wasser, oftmals keine Fenster haben. „Dass die Menschen dann Strom aus dem Treppenhaus ziehen, ist doch nachvollziehbar“, sagt Brennemann. Menschenunwürdig seien die Zustände, doch die Roma seien sehr leidensfähig, haben schon viele Aufenthalte in anderen Ländern hinter sich, bevor sie nach Marxloh kamen. Die „Immobilienhaie“ kreidet sie scharf an, die die Objekte aus Zwangsversteigerungen gekauft haben, nichts sanieren, keine Mietverträge vergeben, dafür die Miete bar von den Roma kassieren. Brennemann: „Und wehe, sie zahlen nicht. Dann werden private Räumungen vorgenommen, am besten nachts und mit Gewalt.“

Auch von der Taskforce erzählt sie, die die Stadt 2016 eingerichtet hat, um im Kampf gegen die so genannten Schrottimmobilien vorzugehen. „Dabei haben die Roma mit allen Kräften oft versucht, durch den Einbau von Rauchmeldern den Brandschutzauflagen zu genügen“, sagt sie. Die einzige Zuflucht für die Roma-Familien ist der Petershof, der Treffpunkt an der katholischen Kirche St. Peter, ein altes Pfarrhaus, in dem sie gemeinsam mit Pater Oliver Rat und Schutz und Hilfe gewährt, einmal pro Woche mindestens. Sylvia Brennemann organsiert auch Juristen, die die Roma über ihre Rechte informieren. „Ihr seid hier, ihr bleibt hier und ihr habt Rechte“, das ist es, was sie den Bulgaren und Rumänen eintrichtert. Nach fünf Jahren stünden ihnen die existentielle Sicherung zu. Sogar Hartz IV zu beantragen sei für sie eine zu große Hürde. Denn ohne Arbeitsvertrag sei das nicht möglich.

Beim Thema Arbeit spricht Sylvia Brennemann fast zornig: Morgens würden die Roma mit Kleinbussen irgendwo hingefahren, wo sie sich anschließend zwölf Stunden als Tagelöhner verdingen, ohne Arbeitsverträge, ohne klare Lohnzusicherung. Die sogenannte Maurerkrätze kennt die Krankenschwester mittlerweile auch. „Wenn jemand tagelang ohne Handschuhe mauert, setzt sich der Dreck in die Hautritzen und entzündet sich“, erklärt sie. Einige Familien hätten inzwischen angefangen, sich einzurichten. Haben eine Schaukel für ihre Kinder aufgestellt, pflanzen Stangenbohnen an, stellen ihren Grill auf. Sylvia Brennemann hat kleine Hilfstrupps organisiert, die Menschen vernetzen sich. „Der größte Schutz für die Menschen ist die Öffentlichkeit“, sagt sie.

Dass es die Malteser-Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung gibt (auf der Münzstraße), sei ein Geschenk. Hierher flüchten sich die Roma aus Marxloh, die jahrelang unbehandelte Krankheiten haben. Und auch im Petershof gibt es eine Krankenstation, die Sylvia Brennemann und Pater Oliver eingerichtet haben. „Wir haben tolle Ärzte im Ruhestand und Apotheken, die uns helfen. An manchen Donnerstagen haben wir hier 120 Patienten durchgeschleust“, berichtet sie. Sie möchte den politischen Druck erhöhen, damit die Roma in Duisburg menschenwürdig leben können.

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