Interview Bildung im Paket hilft weiter

Duisburg · Johanna Schie, Leiterin der Musik- und Kunstschule, geht in den Ruhestand.

 Johanna Schie mit ihrer Geige, ein Instrument, das sie selber vorzüglich beherrscht.

Johanna Schie mit ihrer Geige, ein Instrument, das sie selber vorzüglich beherrscht.

Foto: Probst, Andreas (apr)

Johanna Schie hat 2010 die Leitung der Musik- und Kunstschule (MKS) übernommen. Am Institut, das 2008 als Abteilung der Volkshochschule angegliedert wurde, arbeiten 107 Musikpädagogen, fast alle in Teilzeit. Zum Ende des Jahres geht die 65-Jährige in den Ruhestand, im Gespräch mit Anne Horstmeier blickt sie zurück – und in die Zukunft.

Was mussten Sie zuerst anpacken, als Sie die Leitung der MKS übernahmen?

Johanna Schie: Was mir sehr am Herzen lag, war die Musikschule erstmal stabil zu machen. Es galt, das Kollegium neu zu motivieren, eine Konferenzstruktur zu entwickeln, Standards abzusprechen, neue Unterrichtsmethoden zu entwickeln. Personalführung war ganz wichtig. Und wir mussten ein Profil nach außen entwickeln.

Welche Veränderung hat Jeki, die Initiative Jedem Kind ein Instrument, notwendig gemacht?

Jeki hat uns schon sehr viel an neuen Dingen beschert. Der Arbeitsalltag hat sich komplett verändert. Nicht nur die Arbeitszeiten, auch die Inhalte. Ich habe nicht mehr mein gewohntes Umfeld, keinen Einzelunterricht, sondern stehe vor einer Schulklasse. Das waren schwer wiegende Veränderungen. Was unsere Lehrkräfte nicht gelernt haben, ist mit Disziplinproblemen umzugehen. So eine heterogene Gruppe kann von einem komplett aufgemischt werden. Dazu kamen die Ensembles, das musste man alles selbst entwickeln.

Und mit Jekits – Instrumente, Tanzen, Singen – wurde das Programm differenzierter. Wirkt die Förderung tatsächlich?

Ja. Aber die Zweijährigkeit macht uns im Landesverband zu schaffen, weil wir dann einen Bruch haben. Was ich mir wünschen würde, ist eine durchgängige Bildungspolitik. Wenn man alle Angebote bündeln würde – Jekits, Kulturrucksack, Bildung macht Schule – wäre das relativ viel Geld. Wenn man diese Programme also aufeinander abstimmen würde, könnten wir Kindern durchgängig eine kulturelle und musische Förderung zukommen lassen. Wir brauchen ein gutes Paket, das wäre extremst notwendig.

Es gibt Kritik. Muss es denn unbedingt Instrumentalunterricht sein? Wir haben früher gesungen.

Singen ist ein sehr guter Weg, kommt aber leider überhaupt nicht an. Jekits-Schulen müssen ihre Schwerpunkte definieren: tanzen, instrumental oder singen. Und Singen lässt sich in ganz NRW ganz schwer etablieren. Die Anschlussangebote laufen dafür gar nicht, die Eltern fragen: Warum soll ich dafür bezahlen?

Ich stelle mir den organisatorischen Aufwand riesig vor, Jekits an 42 Grundschulen in ganz Duisburg anzubieten.

Ja, das ist sehr kompliziert, wir haben praktisch eine zweite Musikschule dazu bekommen. Die Anmeldung, die Formulare, die Vertragsbedingungen – alles ist anders. Die ganze Verwaltung musste integriert werden. Aber das ist für uns jetzt ein normales Unterrichtsangebot wie alles andere auch. Leider machen nach zwei Jahren nur verschwindend wenige Kinder weiter, obwohl wir eigens Anschlussprogramme entwickelt haben.

Sie machen mit Jekits auch soziale Arbeit und sollen Eliteförderung leisten. Ist das nicht ein Spagat?

Ja, das ist auch unser Auftrag. In der Spitzenförderung ist es mir gelungen, ein Angebot mit der Folkwang-Universität zu gründen. Da bin ich total stolz drauf. Das wird aber erst im Februar entschieden.

Haben sich die Musikschüler in letzten Jahren verändert?

Ja, wir stellen große Veränderungen fest. Zum einen sind wir in ganz starker Konkurrenz zu allen Freizeitangeboten. Als ich noch unterrichtet habe, war es für manche Eltern selbstverständlich, dass ihr Kind eine Sprache, ein Handwerk und ein Instrument lernt. Das gibt es nicht mehr. Auch nicht den Wert, den es für mich selbst hat, ein Instrument spielen zu können und damit ein lebensbegleitend unglaublich bereicherndes Hobby zu haben. Früher haben Schüler, die Abitur gemacht haben, mal vier Wochen nicht geübt – jetzt melden sie sich ab.

Wo sehen Sie erfreuliche Entwicklungen?

Was sich positiv verändert hat ist, dass vermehrt Ältere kommen – 50, 60 plus. Die einen haben früher mal ein Instrument gespielt und frischen das auf. Oder sie kommen ganz neu, weil sie sich zum Beispiel immer schon gewünscht haben, mal Klavier zu spielen. Ich finde es wichtig, diesen Bereich auszubauen und Angebote für die Bedürfnisse dieser Menschen entwickeln, zum Beispiel eine Zehnerkarte oder Flexi-Unterricht.

Sie gehen auch in Seniorenheime?

Das machen wir, für unser Demenz-Angebot haben wir den Köhler-Osbahr-Preis gewonnen. Und eine Kollegin geht ins Seniorenheim, spielt Akkordeon, und die Senioren singen mit.

Ihre Schüler treten häufig auf, dient das auch der Werbung?

Es ist mir ganz gut gelungen, mich mit vielen Institutionen in Duisburg zu verbandeln. So gab es etwa den „Tag der Musik“ im Forum, wir waren jetzt beim Lichtermarkt, unsere Bigband ist gefragt beim Traumzeit-Festival. Wir wollen in der Stadt präsent sein.

Was macht die Musikschule zukunftsfähig?

Sie muss flexiblere Lösungen anbieten. Immer ein Thema sind die sechs Wochen Schulferien, da könnte man Ferienkurse anbieten, man muss ja nicht gleich mit einem zweiwöchigen Orchesterkurs anfangen. Das wollte ich eigentlich schon erledigt haben. Was mir vorschwebt, ist eine Früherziehung für Ältere. Was Musik ausmacht, kann man lernen, zum Beispiel alles rund um den Dreivierteltakt.

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