Gastspiel im Stadttheater Das Dilemma von Freiheit und Sicherheit

Duisburg · Jacqueline Macaulay und Fernseh-Star Wanja Mues gastierten im Theater mit „Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann. Es gab viel Applaus für eine vorzügliche Aufführung mit Substanz.

 Jacqueline Macaulay und Wanja Mues spielten die Protagonisten in dem Zwei-Figuren-Stück.

Jacqueline Macaulay und Wanja Mues spielten die Protagonisten in dem Zwei-Figuren-Stück.

Foto: Joachim Hittmann

Das Euro-Studio-Landgraf brachte seine Tourneeproduktion des 2017 im Wiener Theater in der Josefstadt uraufgeführten Zwei-Personen-Stücks „Heilig Abend“ von dem 1975 geborenen Bestsellerautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) jetzt zwischen Bietigheim bei Stuttgart und Nienburg an der Weser auf die große Bühne im gut gefüllten Duisburger Theater. Kehlmann schlägt darin einen Bogen von dem Western-Klassiker „High Noon“, der in Echtzeit der 90 Minuten vor Mittag spielt, bis der Zug mit den Banditen in der Stadt ankommt, und aktuellen Diskussionen um das Dilemma von Freiheit und Sicherheit, wie sie zum Beispiel Edward Snowden angestoßen hat. Wie weit darf die Freiheit des Individuums eingeschränkt werden, um die Sicherheit der Allgemeinheit zu gewährleisten? Wie gründlich darf der Staat seine Bürger überwachen? Darf man im Extremfall auch foltern, um größeren Schaden abzuwenden?

Das Stück „für eine Frau, einen Mann und eine Uhr“ (Kehlmann) spielt am 24. Dezember, um 22.30 Uhr. Nur 90 Minuten hat der Verhörspezialist Thomas Zeit, um von der Philosophie-Professorin Judith zu erfahren, ob sie - wie er vermutet - um Mitternacht eine terroristische Bombe hochgehen lassen wird. Ihr Computer war nie mit dem Internet verbunden, das war den Behörden verdächtig, also wurde er heimlich beschlagnahmt, während sie von einem angeblichen Weinlieferanten abgelenkt wurde. Auf der Festplatte fand sich ein vermeintliches „Bekennerschreiben“. Nun wurde Judith zum Verhör „gebeten“. Im Nebenzimmer wird Judiths Ex-Mann und vermeintlicher Mittäter schon seit fast 24 Stunden befragt. Thomas‘ Ziel ist, dass einer von beiden gesteht, um den anderen zu entlasten, damit der Staat einen Fall vorweisen kann, „so ist unser Rechts-System“.

Aber wo endet List und wo beginnt unzulässige Täuschung? Oder war der Text auf dem Computer doch nur eine Übung für ein Uni-Seminar, wie die Professorin sagt? Thomas setzt alles daran, Judith aus der Reserve zu locken. Doch da hat er mit ihr kein leichtes Spiel. Im Gegenteil: Sie beginnt, ihr Gegenüber mit gezielten Fragen aus dem Konzept zu bringen. Die Situation spitzt sich zu. Und die Uhr rückt unerbittlich aud Mitternacht zu.

Das ist feinstes Futter für zwei Weltklasse-Schauspieler, hier die gebürtige Schottin Jacqueline Macaulay und der Fernseh-Star Wanja Mues. Sie haben die Gelegenheit, über Thesen-Theater hinaus zu konzentrierter Psychologie zu gelangen, die beiden pointierten Figuren als Mitmenschen zu gestalten. Deutlich wird, wie die Entwicklung der Gesellschaft zum Überwachungs-Staat es kaum noch möglich macht, dass Menschen unterschiedlicher Meinung sich dennoch zivilisiert und sogar freundschaftlich begegnen können. Die Darsteller lassen das Stück seine Fragen vorbringen und enttäuschen nicht damit, dass es diese naturgemäß nicht beantworten kann.

Das ist natürlich auch ein Verdienst der angenehm dezenten Inszenierung von Jakob Fedler und der nicht nur aus tourneetauglichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen reduzierten Ausstattung von Dorien Thomsen. Genial gelöst wurde das Problem der Uhr, wie Wanja Mues zuvor bei der Einführung „Schauspielführer live“ im Opernfoyer erläuterte: Anders als im Film „High Noon“ können die 90 Minuten von Theaterschaupielern nicht genau eingehalten werden, das ist mal kürzer und mal länger. Wenn nun im Text die Uhrzeit genannt wird, beamt Thomas sie kurz digital an die Wand, so ist es in jedem Fall die gerade gemeinte.

In Duisburg dauerte die Vorstellung sogar eine Viertelstunde kürzer als vorgesehen. Das Publikum war begeistert und – wie nach jeder Aufführung von „Heilig Abend“ – zu viel Gespächsstoff angeregt.

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