Duisburger Geschichte und Geschichten Ideenklau prägt Wirtschaftsgeschichte

Duisburg · Die erste kontinentale Textilfabrik entstand mittels Wirtschaftsspionage, von der auch Duisburg profitierte.

 1783 kopierte Johann Gottfried Brügelmann die Waterframe mittels Wirtschaftsspionage  für die Ratinger Textilfabrik Cromford, die erste Fabrik Kontinentaleuropas.

1783 kopierte Johann Gottfried Brügelmann die Waterframe mittels Wirtschaftsspionage für die Ratinger Textilfabrik Cromford, die erste Fabrik Kontinentaleuropas.

Foto: LWL

„Weltweit ist die Wirtschaftsspionage auf dem Vormarsch – nicht zuletzt aufgrund mobiler Trends in der Digitalisierung“, warnt aktuell die Industrie-und Handelskammer. Kein neues Phänomen. Das beweist ein Blick in die Duisburger Wirtschaftsgeschichte. Mit legalem Technologietransfer, aber auch Spionage begann eine beispiellose Aufholjagd.

Das Duisburger Textilgewerbe profitierte vom Zuzug aus der 1746 abgebrannten Stadt Lennep im Bergischen. Damals entstanden in Duisburg die ersten Manufakturen. Niemand ahnte, dass in England um 1770 ein gewisser Richard Arkwright eine von Wasserkraft angetriebene maschinelle Baumwollspinnerei errichtete. Er entfesselte mit der ersten modernen Fabrik der Welt eine ungeheure wirtschaftliche Dynamik. Das deutsche Textilgewerbe suchte fieberhaft nach Lösungen.

 Der erste deutsche Dampfer wurde von englischen und holländischen Werftarbeitern erstellt.

Der erste deutsche Dampfer wurde von englischen und holländischen Werftarbeitern erstellt.

Foto: Deutsches Schifffahrtsarchiv

Mit verdeckten Ermittlern wurden die Arkwright Fabriken ausspioniert und das Geheimwissen in unsere Region – nach Ratingen – gebracht, obwohl England Industriespionage unter schwerste Strafen gestellt hatte. Dreist nannte der Ratinger Textilunternehmer Brügelmann seine Spinnerei nach dem englischen Vorbild: Cromford. Die Produktivität wurde mit dem Vordringen der Dampfmaschine nochmals gesteigert. Mit der Erfindung von James Watt drohte England die deutschen Betriebe abzuhängen.

 Eine beispiellose Aufholjagd der Duisburger Industrieunternehmen begann. Vorreiter war die chemische Industrie. Der Duisburger Unternehmer Friedrich Wilhelm Curtius hatte in England die industrielle Herstellung von Schwefelsäure und Soda kennengelernt und witterte gewaltige Marktchancen. Nach seiner Rückkehr im Jahre 1824 wohnte er auf der Oberstraße 13 und gründete auf dem Kaßlerfeld am Schlick die erste deutsche Schwefelsäurefabrik. Schwefelsäure braucht man beim Färben und Bedrucken der Stoffe, als Reinigungsmittel oder um Seife herzustellen. Ob Textil, Chemie, Schiffbau oder Stahlerzeugung, England wurde zum bewunderten Vorbild für deutsche Unternehmer und Ingenieure. Preußen richtete einen eigenen Etat für „Informationsreisen“ nach England ein. Industriespione pilgerten nach England, um die neueste Technik der britischen Stahlindustrie (Bessemerverfahren) zu stehlen oder an wertvolle Konstruktionsdetails zu gelangen.

In Duisburg beschritt Franz Haniel 1828 dagegen einen legalen Weg zum know-how-Erwerb. Von der Fijenoord-Werft in Rotterdam wirbt die JHH (Jacobi, Haniel & Huyssen) ein komplettes Team englischer und holländischer Schiffsbauer unter der Leitung des Engländers Nicholas Oliver Harvey ab. Sehr zum Ärger des Rotterdamer Werftdirektors lautete Haniels knappe Antwort auf den Vorwurf der Abwerbung: „Harvey kam zu uns ganz ohne unser Zuthun – wir nahmen diesen an und so folgten mehrere.“

Ingenieurwissen war gefragt. Fast alle deutschen Industriellen und Ingenieure pilgerten nach England, um sich mit dem neuesten Stand der Maschinen-und Schiffsbautechnik vertraut zu machen. Ob der Export von Ideen oder Produkten illegal ist, liegt im Auge des Betrachters. Aus Sisal-Pflanzen konnte man unter anderem Schiffstaue fertigen. Das wusste der Pflanzenforscher Richard Hindorf. Trotz Ausfuhrverbot der Sisal-Agaven, die nur in Mexiko heimisch waren, gelang es dem Ruhrorter über einen Zwischenhändler in Florida, die Sisal-Pflanze über Hamburg nach Deutsch-Ostafrika zu transportieren. „Von 1000 Pflanzen gingen nur 62 an, aber daraus entstand die Sisal-Industrie Ostafrikas“, berichtete stolz Richard Hindorf. Die Sisalproduktion nahm einen steilen Aufstieg, das „blonde Gold“ Afrikas entwickelte sich zu einem Exportschlager. Die Beispiele zeigen, dass Produkt- und Prozessinnovationen die deutsche Wirtschaft antrieb. Duisburger Unternehmen und deren Produkte genossen Weltruf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die wirtschaftliche und technologische Lücke Deutschlands gegenüber England geschlossen. Es war somit nicht nur Ideenklau, Industriespionage und illegale Ausfuhr von Produkten, die Duisburger Unternehmen wettbewerbsfähig machten.

Freihandel, Wegfall der Binnenzölle und risikobereite Investoren, strategische Ausrichtung, Marktgespür und Wettbewerb führten Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass „Made in Germany“ zum Qualitätsmerkmal wurde. Heute wird davor gewarnt, dass China den Westen überholt. Industriespionage und Produktpiraterie lautet der Vorwurf. Historiker erinnern allerdings daran, das China bis ins 16. Jahrhundert in den Wissenstechniken dem Westen weit voraus war. Ob Schießpulver, Seidenherstellung, Drucktechniken oder Porzellan – Ideenklau begleitet die Wirtschaftsgeschichte.

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