Interview mit Sprecher Wolfgang Braun Vereinigung kämpft gegen das Vergessen – und für Demokratie

Duisburg · Unter dem Eindruck fremdenfeindlicher Unruhen und Brandanschlägen wurde 1993 die Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ gegründet. Die Aufgaben bleiben, sagt ihr Duisburger Sprecher Wolfgang Braun.

 Wolfgang Braun vertritt die Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ in Duisburg.

Wolfgang Braun vertritt die Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ in Duisburg.

Foto: Christoph Reichwein (crei)/Reichwein, Christoph (crei)

Information, Aufklärung, Bildung: Das sind die Mittel, denen sich die Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ bedient. Gegründet wurde der Verein 1993 unter dem Eindruck fremdenfeindlicher Unruhen und rechtsextremer Brandanschläge. In Duisburg ist Wolfgang Braun engagierter Sprecher von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Parteipolitisches Denken verbietet sich die Vereinigung, die von ihrer Aufgabe her als „Republikschutzorganisation“ handelt. Wolfgang Braun stellte sich vor diesem Hintergrund den Fragen der RP.

Was erhoffen Sie sich von historisch-politischer Bildung?

Wolfgang Braun Die Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht nicht nur von den geschichtlich schon bekannten Gefahrenquellen aus, erst recht nicht nur von der einen, dem Rechtsextremismus. Denkbar sind auch neue, noch unbekannte Gefahrenquellen, neue Varianten totalitären Handelns. Hier aufgrund der historischen Erfahrungen rechtzeitig die Warnsignale zu erkennen, dafür ist historisch-politische Bildung erforderlich. Beschränkt diese sich jedoch auf das andauernde Wiederkäuen von Feindbildern, versucht man letztlich nur geschlagene Schlachten zu schlagen und verliert selbst die kleineren Gefechte in der Gegenwart.

Und wo bleibt das Positive?

Braun Auch die Leistungen und Errungenschaften aus den letzten beiden Jahrhunderten und ihr Vorlauf sollten nicht in Vergessenheit geraten, sonst wird im Namen einer eigentlichen Demokratie die wirkliche verspielt. Vor allem werden durch die Nachlässigkeiten im Bereich des positiven Gedenkens die Integrationschancen in alle Richtungen massiv reduziert.

Wie finden diese Überlegungen Eingang in ihre Arbeit in Duisburg?

Braun In jeder regionalen Arbeitsgruppe geschieht dies unterschiedlich. In Duisburg hatten wir über 15 Jahre ein Konzept staatsbürgerlicher Bildung, das sich an vier offiziellen Gedenktagen der Bundesrepublik Deutschland orientierte: dem 27. Januar, dem 9. Mai, dem 23. Mai und dem 17. Juni. Zudem haben wir ein besonderes Augenmerk auf den 10. Dezember, den UN-Menschenrechtstag, gerichtet. Dieses Programm ist 2015 ausgelaufen, nicht zuletzt aus Gründen des Ressourcenmangels. Heute haben wir andere Formen für dieselben Überlegungen gefunden. Wir bereiten aber eine Wiederaufnahme des Ausgangsprogrammes vor, ausgehend vom 9. Mai schon in 2020 über den 23. Mai und so weiter.

Sie bezeichnen sich als parteipolitisch unabhängig. Gerade heraus gefragt: Sind bei Ihnen auch AfD-Mitglieder willkommen?

Braun Sie ersparen einem auch gar nichts. Da man niemals nie sagen sollte, kurz und knapp: zurzeit nicht. Dies gilt aber auch für andere Milieus.

Für Ihre Veranstaltungen suchen Sie oft Partner. Wie funktioniert das?

Braun In der Tat, die überwiegende Zahl unserer Veranstaltungen wird im Rahmen von Veranstaltergemeinschaften durchgeführt, daher sind noch weitere Rücksichten zu üben, weitere Abstimmungsgänge durchzustehen, was bisher auch gelungen ist – ohne dabei farb- und konturenlos zu werden. Einem Prinzip sind wir immer treu geblieben: Es ging nichts in Druck, das nicht zuvor allen Beteiligten vorgelegt wurde. Denn eigentlich beruht die Arbeit hier in Duisburg auf einem Gewebe von Unterstützern, personell und institutionell.

Wer ist bei Ihnen Mitglied, welche Berufsgruppen und welche Altersstruktur gibt es im Verein?

Braun Am liebsten würde ich aus „Casablanca“ zitieren: die üblichen Verdächtigen. Wobei in Duisburg die Situation aufgrund unserer Kooperationsstrukturen, zum Beispiel mit dem Jugendring Duisburg, eigentlich gut aussieht. Deutlich wurde auch schon im Außenverhältnis, dass ein Generationssprung nach unten vorbereitet wird. Für die Reihe „Die Deutschen, ihre Geschichte und was sie dafür halten“ werden vorrangig Referenten unter der magischen Grenze von 40 Jahren angesprochen und präsentiert. Und ein Korrektiv haben wir immer im Auge gehabt: Ohne es besonders hervorzuheben, haben sich hier in Duisburg viele der Aktiven in der Tradition der Arbeiterbildungsvereine des 19. Jahrhunderts gesehen.

Wen wünschen Sie sich als Mitglied?

Braun Liebste Mitglieder gibt es genauso wenig wie liebste Kinder. Wie man sich denken kann, gibt es in kleinen Vereinigungen Bedarf an allen Fähigkeiten. Eine Personengruppe möchte ich jedoch hervorheben, weil sie ihre Bedeutung selbst immer unterschätzt. Das sind die aktiven Jahrgänge, im Beruf stehend mit Familie. Diese Menschen führen – egal in welcher Position – die Auseinandersetzungen an der Arbeitsstelle, in der Nachbarschaft und in der Familie, und sie stellen deshalb den Zugang zu denjenigen dar, die wir eigentlich ansprechen wollen und auch sollen. Diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer, auf Abwege geraten können oder schon geraten sind. Vor allem bringen diese „Normalbürger“ eine Qualifikation mit, die vielen Akademikern bei allem klaren Bewusstsein in Grundsatzfragen fehlt, Empathie für die „Anderen“.

Eine Abschlussfrage für den Duisburger von heute: Sie haben mit keinem Wort die Herkunft oder Abstammung erwähnt. Ist die Integration kein Problem für Sie?

Braun Nein, ein lautes Nein. Wie im Grundgesetz vorgegeben, fragen wir nicht danach. Wenn jemand sich beteiligt, dann sind diese Kriterien unwesentlich, gleich ob sie selber oder ihre Eltern aus der Türkei, Kroatien oder der Ukraine kommen. Das war vor 20 Jahren so und gilt heute immer noch. Auch hier gilt: Es gibt nichts Gutes, aber man tut es!

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