Duisburger Geschichten und Geschichte Die Lust am Schrecken und Grotesken

Duisburg · Monster, Drachen und Fabelwesen faszinierten nicht nur im Mittelalter.

 Ausschnitt Carta Marina, Olaus Magnus, 1539, Universität Uppsala

Ausschnitt Carta Marina, Olaus Magnus, 1539, Universität Uppsala

Foto: Wiki Gemeinfrei

Monster und Fabelwesen kriechen aus ihren Verstecken und verbreiten in Halloweennächten Angst und Schrecken – oder wollen ganz einfach nur feiern. Aber auch jenseits vom umstrittenen Gruselfest Halloween entdeckt man in Duisburg Monster und Fabelwesen – man muss sie nur suchen.

Dazu liefern Bibliotheken und Museen erste wertvolle Hinweise. Überall begegnete man im Mittelalter Monstern und Fabelwesen – etwa an Kirchenportalen, auf Globen und Seekarten und Gemälden. Als Monster bezeichnet der Bonner Historiker Rudolf Simek „Menschen oder menschenähnliche Wesen mit körperlichen oder anderen Abweichungen“ sowie „Mischwesen“ aus Mensch und Tier. Sondergruppen bilden darüber hinaus Seeungeheuer und Fabelwesen wie Drachen und Einhörner. Monster stellen somit aus Sicht des Professors das Andere, Fremde dar und zwar meist das Fremde in fernen Ländern. Riesen aus Patagonien, Zyklopen oder Hundsköpfige, körperlich Deformierte, eigentümliche Gebräuche und Kannibalismus der „Wundervölker“ wurden als abstoßend empfunden und gingen häufig mit Überlegenheitsgefühlen einher. Menschen brauchten vermutlich Monster für eine identitätsstiftende Abgrenzung zu Fremden oder zur Legitimierung von Missionierung. Fabelwesen und Ungeheuer haben eher Warnfunktionen und dienen der Angstbewältigung.

 Eine Drachenschlange als Graffiti im Hochfelder Rheinpark.

Eine Drachenschlange als Graffiti im Hochfelder Rheinpark.

Foto: Harald Küst

Die Duisburger staunten schon zu Mercators Zeiten über Reiseberichte und Romane mit Illustrationen schauriger Kreaturen. Auf den Meeren und in den neu entdeckten Ländern wimmelte es nur so von Phantasiewesen. Viele Kartographen verschönerten damals ihre mittelalterlichen Seekarten mit furchteinflößenden, schuppigen und bösartigen geflügelten Ungeheuern, die Seeleute samt Schiff verschlangen. Die „Carta Marina“ von Olaus Magnus mit den Seeungeheuern fasziniert bis heute. Auch der geniale Duisburger Kupferstecher Hendrick Goltzius griff das Sujet aus Zeiten der Antike meisterhaft mit seinem Werk „Der Drache tötet die Gefährten des Kadmos“ auf. Sein Werk zeigt einen furchterregenden Drachen, der spektakulär einen Menschenkopf zermalmt.

Im Duisburger Alltag waren demnach schon immer Fabelwesen wie Einhörner und Mischwesen verbreitet – man denke nur an die traditionsreiche Einhorn-Apotheke, an die Kapitelle der Salvatorkirche, an Wappen und Brunnenskulpturen. Die Mischwesen wurden zum schmückenden Architekturelement. Schausteller und Gaukler erreichten mit schaurigen Monstergeschichten ein breites Publikum. Im 18. Jahrhundert war es der reisende „Guckkastenmann“, der mit Bildern ungewöhnlicher Kreaturen aus fernen Ländern die Sensationslust der Betrachter bediente. Jahrmärkte und Menschenschauen zeigten Abnormitäten und monströse Kreaturen. Später waren es Geisterbahnen, die für wohligen Schrecken sorgten. Mit der Erfindung des Kinematographen befeuerte die Filmindustrie die Lust an Monster und Fabelwesen. Der Filmklassiker Nosferatu zog in den 20er-Jahren die Duisburger Kinobesucher in den Bann. Vampire und Zombies finden auch heute ein Publikum. Alte Mythen und Fabelwesen wurden in Monsterfilmen aufgegriffen: Godzilla und Aliens fanden ihre Vorbilder bei den Seeungeheuern.

Heutzutage bevölkern Monster und Fabelwesen aller Art viele Szenarien in Literatur, Film, Kunst, Werbung und der Schaustellerbranche. Die Riesenkrake „Big Monster“ liefert auf der Beecker Kirmes traumatische Break-Dance-Gefühle. Die Lust am Schrecken und Grotesken wird immer stärker von der Medienbranche genutzt. Harry Potters Flugtier Hippogreif fasziniert nicht nur Kinder. Niedliche Fabelwesen wie das Einhorn wurden zu einem beliebten Geschenkartikel. Die Kunden von Tattoo Studios in Duisburg lieben bildstarke Drachenmotive. Auch Graffitikünstler lassen sich durch historische Monstermotive inspirieren. Am Hochfelder Rheinpark findet sich ein imposantes Mischwesen aus Drachen und Schlange.

Ein Duisburger Markenzeichen ist der Lifesaver – die Skulptur von Niki de Saint Phalle zeigt ein adlerköpfiges Mischwesen. Die Games-Branche profitiert vom jungen Publikum: 100.000 Mal wurde „Monster-Hunter“ verkauft und Horrorvideospiele wie „Outlast“ auf der Virtual-Reality-Brille zeigen wohin der Trend führt. Zudem zeigt das kommerzialisierte Gruselfest Halloween, dass die Lust am Schrecken und Grotesken höchst aktuell bleibt. Der Bedeutungswandel von Monstern und Fabelwesen erzählt eine Menge über uns selbst.

Zum Weiterlesen: Monster im Mittelalter, Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen, Rudolf Simek, 2015.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort