Duisburger Geschichten und Geschichte „Einer muss ja die Drecksarbeit machen“

Serie | Duisburg · Risiken und fehlende Wertschätzung abstoßender und schmutziger Arbeit: Dies ist die Geschichte von Abdeckern und Lumpensammlern in Duisburg.

 Die Preußische Regelung zur Lumpensammlung und Papierherstellung.  
  Collage: Küst

Die Preußische Regelung zur Lumpensammlung und Papierherstellung. Collage: Küst

Foto: Harald Küst

Innerhalb der Duisburger Stadtmauern lebten Ende des 17. Jahrhunderts etwa dreitausend Menschen. Duisburg war keine reiche Stadt, aber die Berufsstruktur weist eine exportorientierte, geschäftige Handwerker- und Händlerstadt aus. Neben den Stadtoberen, Richtern, Advokaten, Ärzten, Apothekern, Ackerbürgern, Handwerkern und Händlern gab es im alten Duisburg auch einen Abdecker bzw. Schinder. Ein gewisser Hans Vierheller übte dieses Amt ab dem Jahr 1530 aus.  Der Abdecker, der auch als Teilzeit-Scharfrichter tätig war, übernahm die Beseitigung und Verwertung von Tierkörpern. „Einer muss ja die Drecksarbeit machen“, lautete die Meinung gut situierter Bürger. Und Drecksarbeit gab es jede Menge in der Stadt.

Der Abdecker Regelmäßig ging Hans Vierheller durch die Duisburger Gassen, um ein Mindestmaß an Hygiene aufrecht zu erhalten. Die Duisburger waren verpflichtet, alle Tierkadaver dem Abdecker zu übergeben. Die Entsorgung eines toten Pferdes kostete vier Albus, einer Kuh drei Albus.  Nebenbei kastrierte er Pferde und Rinder, um sein karges Gehalt aufzubessern. Hans Vierheller sammelte auch verendete Tierleichen ein. Die Haut des Tieres durfte er behalten. Die nicht mehr verwertbaren Reste, zum Beispiel Knochen, soweit sie nicht an die Seifensieder gingen, wurden außerhalb der Stadtmauern vergraben.

Zur Arbeit des Abdeckers gehörte auch die Tötung und Entsorgung von Ratten, wilden Hunden, Katzen, herrenlosen Schweinen und kleinerem Viehzeug. Der Schinder war bei seiner Arbeit durch Verletzungen gefährdet. Infektionen (zum Beispiel Milzbrand) endeten meist tödlich. Heute übernehmen die Betreiber von Tierkörperbeseitigungsanstalten diese Arbeit. Die Aufgabe steht im Spannungsfeld hoher seuchenhygienischer Bedeutung und wirtschaftlicher Interessen von Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Das Wissen über die Tiermehlverarbeitung in Konsumprodukten kann allerdings nicht gerade als appetitanregend bezeichnet werden.

Der Lumpensammler Als wenig geschätzt galt auch der Beruf des Lumpensammlers, der in der Duisburger Berufsstatistik aus dem Jahr 1714 aufgeführt wurde. Die Nachfrage nach Textilstoffabfällen (Hadern) stieg mit Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhunderts in ungeahnte Höhen. Der begehrte Rohstoff wurde für die Papierherstellung benötigt. Der Lumpensammler fuhr mit seinem Karren durch die Gassen, pfiff eine Erkennungsmelodie und machte mit lautstarken Ausrufen auf sich aufmerksam. Das Sammeln von Lumpen war risikoreich. Milzbrand, aber auch Infektionskrankheiten wie Blattern, Krätze, Typhus und Cholera drohten. Die Fuhre wurde von den umliegenden Papiermühlen nach Qualität und Menge der Lumpen bezahlt. Nach der Tour wurde die unappetitliche Ladung ausgeschüttet und von Frauen und Kindern sortiert, die Faserstoffe in handliche Stücke zerrissen, ehe sie in den Papiermühlen weiterverarbeitet wurde. Dort wurden die Hadern in Wasser eingeweicht, damit sie faulten. Anschließend legte ein von einem Mühlrad angetriebenes Stampfgeschirr die Masse in einzelne Fasern, woraus der Faserbrei zum Schöpfen des Büttenpapiers entstand.

Die Umweltbelastung war erheblich. Durch das Waschen der Lumpen fielen riesige Mengen Schmutzwasser an, die ungefiltert in die Gewässer zurückgeleitet wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es, Holz so weit aufzuspalten, dass es zur Papierherstellung verwendet werden konnte – der oft übel beleumundete Lumpensammler wurde zum Auslaufmodell.  Sein anrüchiger Ruf lebt bis in die Gegenwart fort, wenn auch nur in Schimpfwörtern wie „Lump“, „Haderlump“, „Lumpensack“.  Machen moderne Technologien alles besser? Klimafreundlich ist die Papierproduktion nicht - sie benötigt viel Holz, Energie und Wasser und kann zur Einleitung gefährlicher Chemikalien in Gewässer führen, so das Umweltbundesamt. Der Lumpensammler ist zwar von der Bildfläche verschwunden, aber die Kunst des Upcyclings oder  Recyclings gehört zu einer Erneuerungskultur, die der des Lumpensammlers nicht unähnlich ist.

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