Duisburger Geschichte und Geschichten Ein vergessener Naturforscher

Duisburg · Friedrich Sellow (1789 bis 1831) war einer der Ersten, der sich auf die Suche nach bisher unbekannten Völkern, Tieren und Pflanzen in Südamerika aufmachte.

 Friedrich Sello: Einheimischer Expeditionsteilnehmer Pai Gutinho, Aquarell (MfN).  Foto: Schaus-Sahm

Friedrich Sello: Einheimischer Expeditionsteilnehmer Pai Gutinho, Aquarell (MfN). Foto: Schaus-Sahm

Foto: Schaus-Sahm

Eine Zeitreise ins beginnende 19. Jahrhundert: Napoleon Bonaparte übt 1807 massiven militärischen Druck auf die portugiesische Krone aus. Die Flucht des portugiesischen Hofes nach Brasilien eröffnet der bisher rückständigen Kolonie ungeahnte Chancen. Es beginnt ein Veränderungsprozess, der zur Öffnung der Häfen, dem Abbau von Handelsschranken und für Aufbruchstimmung sorgt. Das bisher unerschlossene Land wird zum Sehnsuchtsort der europäischen Geografen, Geologen und Ethnografen – ein riesiges, überreiches Laboratorium voller Naturgeheimnisse. Zeitgenossen und Nachfolger Alexander von Humboldts reisen vor 200 Jahren aus Mitteleuropa in die ganze Welt. Viele dieser Forscher sind heute vergessen: Auch Friedrich Sellow geht es so. Er ist einer der Ersten, der sich auf die Suche nach bisher unbekannten Völkern, Kulturen, Tieren und Pflanzen in Südamerika aufmacht.

Aber wer ist dieser Friedrich Sellow? Er wird 1789 in Potsdam geboren, wächst in einer Gärtnerfamilie auf, besucht das Gymnasium und beginnt sein Berufsleben in der preußischen Hofgärtnerei. Seine Leidenschaft für Botanik paart sich mit Fortbildungswille und Lernbegierde. Er studiert in Paris und London und findet Unterstützung bei Alexander von Humboldt und anderen bedeutenden Naturforschern. In der Zeit der napoleonischen Kriege erreicht ihn in England eine Einladung des deutsch-russischen Adligen Heinrich von Langsdorff, der neben seiner Arbeit als Wissenschaftler, das russische Generalkonsulat in Rio de Janeiro führt. Freiherr von Langsdorff bietet Sellow eine Teilnahme an einer wissenschaftlichen Expedition in Brasilien an. Für Sellow eine einmalige Chance. Er sagt zu. Sein Lebenstraum geht in Erfüllung. Mit einem Darlehen britischer Botaniker finanziert er die beschwerliche Segelschiffreise. 1814 erreicht er Rio de Janeiro. Seine Schulden tilgt er alsbald mit der Übersendung von getrockneten Pflanzen, Sämereien, Vogelbälgen usw.

 Friedrich Sello: Ein junger Mann mit Hacke (MfN).  Foto: Schaus-Sahm

Friedrich Sello: Ein junger Mann mit Hacke (MfN). Foto: Schaus-Sahm

Foto: Schaus-Sahm

17 Jahre forscht er voller Leidenschaft und bezeichnet sich selbst als „Pflanzenjäger“. Imposant wie seine Reiserouten sind die Mengen an Messdaten und botanischen und geologischen Proben, die er akribisch sammelt. Insgesamt sollen es etwa 12.000 Pflanzen beziehungsweise Samen, 5000 Vögel, 110.000 Insekten und 2000 Mineralien und Gesteine gewesen sein. Proben tropischer Hölzer, Insekten und Mineralien und schickt er an botanische Gärten in Brasilien, Portugal, England und Deutschland. Da er inzwischen vom preußischen Staat finanziert wird, kann Sellow an zahlreichen weiteren Expeditionen nach Südbrasilien in den folgenden elf Jahren teilnehmen. „Unter den größesten Beschwerden, auf den unwegsamsten Straßen, mit den größesten Lebensgefahren wagte er [Friedrich Sello] sich bis tief in das Land, […]“ heißt in einem Bericht von 1835.

Sellow ist ein Multitalent. Seine Sprachbegabung erleichtert es ihm, die indianischen Sprachen zu verstehen und wichtige Vokabeln zu dokumentieren. Zu seiner Ausrüstung gehört ein Zeichenblock. Seine Bleistiftskizzen reichen vom Baumfarn bis zu Zeichnungen von Eingeborenenschädeln. Mit Hilfe einer Camera lucida, die ein Bild des Objektes auf die Leinwand projiziert, fertigt er die Zeichnungen an. Seine Daten- und Bildersammelleidenschaft spiegelt Präzision und Sachlichkeit seiner Arbeitsweise wider.Die exotischen Abbildungen, Tagebuchseiten mit eingeklebten Pflanzen und Lithographien beeindrucken bis heute. Sellow beschäftigt sich mit einer Vielzahl von Forschungsgebieten, sei es Botanik, Zoologie, Ethnologie, Kartographie oder Paläontologie. Dies zeigen seine Tagebücher, die ihm als Gedächtnisstütze für eine spätere wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Reisen dienen sollten. Doch zur Katalogisierung seiner Funde kommt es nicht mehr. Im Oktober 1831 ertrinkt der damals 42-Jährige im Rio Doce – unter bis heute ungeklärten Umständen. Ein Unvollendeter.

 Hanns Zischler ist Mitherausgeber eines Buches über Sellow.

Hanns Zischler ist Mitherausgeber eines Buches über Sellow.

Foto: Julia Baier

Hanns Zischler, ein ungewöhnliches Multitalent (u.a. Filmschauspieler, Übersetzer und Verleger) hat sich ausführlich mit der Lebensgeschichte von Friedrich Sellow beschäftigt und ein reich illustriertes Buch herausgegeben: „Die Erkundung Brasiliens - Friedrich Sellow unvollendete Reise“.

Eigentlich wollte Hanns Zischler dieses Buch bei der Mercator-Matinee am 3. März im Kultur- und Stadthistorischen Museum vorstellen. Leider musste er diese Matinee absagen. Ein Ersatz für diese Matinee, die nun leider ausfallen muss, ist dieser Artikel unseres Autors Harald Küst, der sich ebenfalls mit Friedrich Sellow beschäftigt hat.

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