Oper-Premiere in Ruhrort Großer Beifall für große Oper

Duisburg · Zum ersten Mal wurde in Ruhrort eine Oper aufgeführt. Und zwar eine bemerkenswerte. In der Kammeroper „Port Bou“ von Elliott Sharp geht es um die letzten Stunden des Walter Benjamin.

 Bassbariton Nicholas Isherwood überzeugte in der Rolle des Walter Benjamin.

Bassbariton Nicholas Isherwood überzeugte in der Rolle des Walter Benjamin.

Foto: Andre Symann

Musiktheater über das Leben und den Tod des deutschen Intellektuellen Walter Benjamin gab es erstmals mit „Shadowtime“ (2004) von Charles Bernstein (Libretto) und Brian Ferneyhough (Komposition), zuletzt mit „Benjamin“ (2018) von Yona Kim (Libretto) und Peter Ruzicka (Komposition). Dazwischen liegt „Port Bou“ (2014) von Elliott Sharp, der sowohl das Libretto als auch die Komposition schrieb und die Uraufführung in New York besorgte. Seine Inszenierung, die bislang nur einmal, dazu als Europäische Erstaufführung, auf diesem Kontinent gezeigt wurde, nämlich 2015 in Berlin, erlebte nun gleich vier aufeinanderfolgende Aufführungen an drei verschiedenen Orten der Region, so in Bonn, Münster und Duisburg. Die Produktion der Oper stammt vom Verein „In Situ Art Society“ und wurde gefördert vom NRW Kultursekretariat einschließlich der drei beteiligten Städte.

Für Ruhrort bedeutete die Vorstellung im Gemeindehaus des Kreativquartiers zugleich eine weitere Premiere: Denn erstmals in der (zumindest jüngeren) Geschichte des Hafenstadtteils wurde hier eine Oper aufgeführt – und was für eine!

Die Kammeroper „Port Bou“ des amerikanischen Musikers und Komponisten Elliott Sharp, der gerade erst auf der diesjährigen Ruhrtriennale seine neueste Oper „Filiseti Mekidesi“ präsentierte, ist den letzten Stunden im Leben des deutschen Philosophen und Kulturkritikers Walter Benjamin (1892-1940) gewidmet. Sie ist für einen Sänger, hier besetzt mit dem grandiosen Bassbariton Nicholas Isherwood, und drei Musiker geschrieben, hier besetzt mit Jenny Linn am Klavier, William Schimmel am Akkordeon und Elliott Sharp an der Electronic zur Einspielung der „pre-recorded Instruments“, der vorab aufgenommenen Instrumente eines kammermusikalisch besetzten Orchesters. Der formale Aufbau der Oper besteht aus einer Ouvertüre und sieben Akten; die Handlung spielt in einem Hotelzimmer in dem spanischen Dorf Portbou an der Grenze zu Frankreich. Dorthin hat sich Benjamin 1940 geflüchtet, der Deutschland 1933 verlassen musste und ins Exil ging. Weil seine Auslieferung an Nazideutschland unmittelbar bevorstand und er keinen anderen Ausweg für sich sah, nahm er sich das Leben.

„Ich habe das musikalische Monodrama so geschrieben und komponiert“, erzählt Elliott dieser Zeitung, „dass die Oper die letzten Lebensminuten von Benjamin in Echtzeit wiedergibt. Als Autor und Komponist habe ich versucht, seine Gedanken und Gefühle während dieser Zeit nachzuempfinden, um diese dann stellvertretend in Textbausteine und Tonfrequenzen zu übertragen.“ So dient die Ouvertüre unter anderem dazu, die Opernbesucher auf dieses Lebensende vorzubereiten, indem Filmschnipsel von marschierenden Wehrmachtssoldaten, deutschen Kampfbombern und Fallschirmspringern sowie Eisenbahnschienen, dem Eifelturm und vielem mehr aus jener Zeit gezeigt werden. Abschluss dieser musikalisch-visuellen Eröffnung ist ein Standbild, dass das besagte Hotelzimmer mit Fenster und Jesuskreuz zeigt. Diese Film- und Fotoprojektionen stellen zugleich das Bühnenbild der amerikanischen Videokünstlerin und Grafikdesignerin Janene Higgins in der Inszenierung dar.

Dieses Standbild bleibt im Wesentlichen alle sieben Akte (A Room, SH, Words, Ajsa, Creation, Reproduction, Translation) stehen, wechselt wie die Lichtstimmung der einzelnen Bilder jedoch von Szene zu Szene seine Farbe und ihre Bedeutungsebene: Aus dem ursprünglichen Jesuskreuz wird ein Hakenkreuz, wird ein Judenstern, werden andere Symbole wie hebräische und sonstige Buchstaben, wird Hammer und Sichel bis zum Bundesadler. Higgins „Projection Design“ fungiert sowohl als Bühne und Kulisse wie auch als Kommentar und visueller Kontrapunkt zu Musik und Klang.

Der letzte Akt „Translation“ besteht aus (fast) nur einem einzigen Wort übersetzt in mehrere Sprachen – nein, non, no – und endet mit dem Jiddischen „gornisht“, was so viel heißen soll wie: es gibt „gar nichts“ weiter zu erzählen. Das Licht erlischt. Nur das Fenster vom Standbild bleibt zu sehen. Es zeigt einen wunderschönen Sonnenuntergang. Oder ist es ein Sonnenaufgang als Metapher einer besseren Zukunft, weil man Vogelgezwitscher und Meeresrauschen im Hintergrund hört? Egal, so oder so: Es gab verdient großen Beifall für eine große Oper und ein großartiges Ensemble.

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