Duisburg Die Welt vor neuen Herausforderungen

Duisburg · Über die Krisenherde auf der Erde und die Folgen für die Wirtschaft diskutierten gestern Abend rund 250 Unternehmervertreter aus der Region mit Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Moderation übernahm RP-Chefredakteur Michael Bröcker.

 Beim Unternehmertag im Haus der Unternehmer (v.l.): Verbandschef Wim Abbing, Gastredner Wolfgang Ischinger, Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, und RP-Chefredakteur Michael Bröcker.

Beim Unternehmertag im Haus der Unternehmer (v.l.): Verbandschef Wim Abbing, Gastredner Wolfgang Ischinger, Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, und RP-Chefredakteur Michael Bröcker.

Foto: Reichwein

Sudan, Jemen, Afghanistan, Israel, Irak, Syrien, Somalia, Ukraine - die Liste ließe sich noch sehr viel weiter führen. "Das Weltgeschehen ist viel weniger planbar, weniger vorhersehbar geworden als etwa zur Zeit des Kalten Krieges", sagt Wolfgang Ischinger - und gibt offen zu: Selbst er und sein internationaler Beraterstab hätten es vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 nicht für möglich gehalten, dass die Krise in der Ukraine einmal solche Ausmaße annehmen würde. "Kein einziger hat's kommen gesehen."

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wie konnte das geschehen? Auf drei Dinge führt Ischinger, ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, diesen Umstand zurück. Erstens: Die Nationalstaaten sind nicht mehr das, was sie einmal waren. "Sie konnten den Menschen früher innere und äußere Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität bieten. Das können sie heute nicht mehr ohne Weiteres leisten." Das mache sie unglaubwürdiger für ihre Bürger.

Zweitens, so Ischinger, sei die internationale Gemeinschaft nicht entscheidungsfähig genug. "Der UN-Sicherheitsrat sollte eigentlich jede Woche eine Krise lösen, aber er ist blockiert, weil jedes Mal ein oder mehrere Mitglieder nicht zustimmen." Auch die G7 oder die G20 produzierten im Grunde "nur heiße Luft. Es gibt wenige klare Entscheidungen".

Drittens, betont Ischinger: "Früher war alles ganz klar: Wenn ein Konflikt ausbrach, war dies eine klassische militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten." Heute dagegen gebe es fast ausschließlich bürgerkriegsähnliche Konflikte innerhalb der Staaten. Hinzu kämen technologische Veränderungen - der Einsatz von Drohnen, Cyberangriffe - und wirtschaftliche Sanktionen. "Es ist eine ,schöne neue Welt', die wir noch nicht richtig einschätzen können."

Gerade dieser letzte Punkt veranlasst Michael Bröcker, Chefredakteur der Rheinischen Post, zu einer provokanten Frage: "Im Kalten Krieg gab es klare Fronten und klare Feinde. Sollten wir uns die klassischen Konflikte von damals zurückwünschen?" Ischinger verneint natürlich, betont aber: "Wir leben nicht in einer friedlichen Welt und sollten nicht mit dem Status quo zufrieden sein."

Welche Lösungsansätze er denn sehe? Die EU, so Ischinger, müsse aktiv Herausforderungen annehmen, auch wenn die Konflikte weit entfernt von den eigenen Grenzen lägen und unsere Wirtschaft und die Finanzmärkte die Auswirkungen derzeit noch relativ wenig zu spüren bekämen. "Wir können nicht darauf vertrauen, dass das so bleibt", so Ischinger.

Die EU-Mitgliedsstaaten, sagt er, sollten dabei in jedem Fall "mit einer Stimme sprechen", um als weltpolitischer Akteur besser wahrgenommen zu werden. Und das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitspolitisch. "Sie müssen ihre militärischen Ressourcen effizienter nutzen. Etwa gemeinsam Waffen einkaufen. Auch sollte ein deutscher Pilot in der Lage sein, einen britischen Eurofighter fliegen zu können", sagt Ischinger.

Die wegen der Annexion der Krim gegen Russland verhängten Sanktionen bewertet der Ex-Botschafter als ein "nur selten erfolgreiches Instrument". Er gibt aber zu: "Es war ein klares Zeichen mangels anderer Alternativen." Und jetzt könnten weder Putin noch die EU zurück - zumindest nicht ohne Gesichtsverlust. Ischingers Vorschlag: die Zusammenarbeit mit Russland wieder langsam in Gang setzen und dabei "strategische Geduld" beweisen. Denn er ist überzeugt: "Russland braucht uns mindestens genauso sehr, wie wir es brauchen."

Auch das viel kritisierte Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) kommt zur Sprache. Ischinger ist ganz klar dafür. "Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitspolitisch ist es von essenzieller Bedeutung." Vor allem wegen "eklatanter Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit" würde es jedoch von vielen abgelehnt. Den Bürgern sei nicht vermittelt worden, wie wichtig das Handelsabkommen sei. Dennoch ist Ischinger sich sicher: Noch in Obamas Amtszeit werde es hier einen Abschluss geben.

(RP)
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