Wolfgang Braun Die Lektionen der Vergangenheit lernen

Duisburg · Der Sprecher der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" erklärt, warum in der Pauluskirche am 8. Mai das Europafest gefeiert wird.

 Wolfgang Braun ist Sprecher der überparteilichen Gruppierung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" in Duisburg.

Wolfgang Braun ist Sprecher der überparteilichen Gruppierung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" in Duisburg.

Foto: probst (archiv)

Es ist in Duisburg Tradition, dass die Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" gemeinsam mit anderen Gruppierungen immer am Freitag vor dem Europatag, das ist der 9. Mai, ein Europa-Fest feiert. Dieses Jahr fällt dieses Fest auf den 8. Mai, ein Tag, der in diesem Jahr besonders beachtet wird, weil er das Kriegsende vor 70 Jahren in Erinnerung ruft. Wie hat man sich in Ihrer Gruppierung diesem besonderen Jahrestag gestellt?

Braun Offen gesagt, wir standen vor der Frage, ob wir unser Europafest ausfallen lassen und statt dessen eine Veranstaltung zum Kriegsende durchführen sollten. Doch dies schien uns unpassend, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem die Europäischen Institutionen in einer ernsthaften Bewährungsprobe stehen. Daher haben wir schon vor einer Woche, am 25. April, eine Europäische Feierstunde zum Kriegsende auf die Beine gestellt. Ihr Thema: Giorno della Liberazione - Bevrijdingsdag - Tag der Befreiung. Und nächsten Freitag gilt wie in den Vorjahren: Europa feiert! Feiert Europa!

Der 8. Mai wurde noch viele Jahre nach dem Kriegsende zumeist nur als Tag der bedingungslosen Kapitulation, als Niederlage nach einem zugegebenermaßen furchtbaren Krieg mit unvorstellbaren Schandtaten auf deutscher Seite betrachtet. Doch als "Tag der Befreiung" bezeichnete von offizieller Seite erst Bundespräsident Richard von Weizsäcker den 8. Mai. Darf man den 8. Mai in Duisburg nach der Weizsäcker-Rede feiern, oder ist der 8. Mai eher ein Tag des Gedenkens?

Braun Der Wahrheit zuliebe muss vorab eines festgestellt werden: Sehr viele derjenigen, die den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage, des Zusammenbruchs bezeichneten, leugneten oder verharmlosten auch die Schandtaten der Nationalsozialisten bis weit in die Nachkriegsjahre hinein.

Hat sich das nach der Weizsäcker-Rede, die als historisch gewertet wird, geändert?

Braun Auch nach der Weizsäcker-Rede - immerhin wurde sie vor 30 Jahren gehalten, also 40 Jahre nach Kriegsende - wurde der 8. Mai meines Wissens nirgendwo in Westdeutschland im Wortsinne gefeiert: Mit Tanz, Gesang, Speis und Trank. Selbstverständlich kann an einem Tag der Befreiung gefeiert werden, und es ist in den Nachbarländern auch üblich, wie wir letzte Woche lernen konnten.

Gilt dies denn auch für Deutschland?

Braun Nein. Die Befreiung vom Nationalsozialismus mag von vielen Deutschen ersehnt worden sein, aber sie wurde erlitten, nicht errungen. Deshalb in aller Deutlichkeit: Wir feiern am 8. Mai 2015 nicht den 70. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands, obwohl dies der beste denkbare Anlass für jeden Menschen mit einem Herz im Leib wäre, seinen Jubel mit Pauken und Trompeten, Harfen und Schalmeien kundzutun. Sondern wir feiern am 66. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes, dem Tat der Neubegründung der Freiheit der Deutschen am 8. Mai 1949, und am Vorabend des Europatages die andere zentrale Nachkriegserrungenschaft, die Europäische Integration.

Im Fernsehen gibt es viele Sendungen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen; jetzt vor dem 70. Jahrestag sogar besonders viele. Ist diese Medienoffensive in Bezug zum Zweiten Weltkrieg eine Herausforderung für den Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie"?

Braun Geschichte oder besser "Geschichten aus der Geschichte" gehören, um es mal etwas scharf zu formulieren, zum allabendlichen Unterhaltungsprogramm. Erschreckendes findet dabei offenbar mehr Interesse als alles andere. Wir meinen aber, dass der Schrecken faszinieren kann, aber er allein lehrt nicht. Die "Lektionen der Vergangenheit", die werden selten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. Aber genau um solche Lektionen geht es unserer Vereinigung.

Sie haben als Gastredner für die Veranstaltung in der Hochfelder Pauluskirche Ekin Deligöz von den Grünen und Axel Schäfer von der SPD eingeladen. Warum diese beiden?

Braun Wichtig sind in diesem Jahr schon die kleinen Fingerzeige im Programm. Erst einmal, beide Seiten im Bundestag sind vertreten: Koalition und Opposition. Auch in diesem Sinne: "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V."

Weshalb Ekin Deligöz?

Braun Frau Deligöz, Abgeordnete aus Bayern im Deutschen Bundestag, ist - wie am Namen zu erkennen - türkischer Abstammung. Sie ist aber auch Mitglied im geschäftsführenden Vorstand von "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.". Ihre Sicht auf die Bundesrepublik von heute, ihre Sicht auf das neue Europa stellt mit Sicherheit ein Kontrastprogramm zu all denjenigen dar, die dem gescheiterten Dritten - erst Großdeutschen, dann Großgermanischen - Reich noch ein Tränchen nachweinen.

Und weshalb Axel Schäfer?

Braun Herr Schäfer ist ebenfalls Mitglied von "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V." und zugleich Vizepräsident der Europäischen Bewegung Deutschland. Wir haben ihn gebeten, eine Ansprache mit dem Thema zu halten: Die Aufgaben Deutschlands in Europa! Letztlich wenden wir so den Blick nach vorn: Welche Aufgaben haben wir zu schultern? Woran werden wir gemessen werden? Auch dies ein Kontrastprogramm zu den vergangenen Zeiten.

(RP)
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