Duisburg Diagnose: Gewissensschwund

Duisburg · Der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ging in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" mit Politikern hart ins Gericht. Parteien seien "Konsensmaschinen im Windkanal".

Bei einem Empfang in der katholischen Akademie Wolfsburg, an dem Vertreter von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kirche teilnahmen las Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte den Politikern die Leviten.

Prof. Korte fand deutliche Worte in seinem kurzweiligen Vortrag zum Thema "Regieren und Wählen: Über das Verschwinden der Politik". Mit zum Teil spitzen Bemerkungen beschrieb der Politikwissenschaftler der UniDuisburg-Essen den Wahlkampf zur letzten Bundestagswahl, das Agieren von Politikern und die Reaktion der Wähler. "Politik verschwindet als öffentliches Ringen um Inhalte", so das Fazit von Korte. Das habe sich nicht nur im letzten Wahlkampf gezeigt, sondern auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es habe sehr viel an "Gewissheitsschwund" gegeben. Sicherheit habe im Vordergrund gestanden, nicht Aspekte der Gerechtigkeit. "Die Krise hat die politische Mitte harmonisiert, aber zu keinem öffentlichen Austausch über Inhalte geführt", so Korte.

Er beobachtet außerdem eine "Krise der politischen Repräsentation". Die Volksparteien seien zu "Konsensmaschinen im Windkanal" geworden. Sie verlören an Zustimmung und Profil. Das führe zu einer Verunsicherung der Stammwähler. Die Lagerpolarisierung in dem Fünf-Parteien-System habe abgenommen. Eine "Koalitionslotterie" sei entstanden. Der Wähler habe immer weniger Einfluss auf die Bildung einer Regierung. "Wir wissen nicht, was mit unserer Stimme inhaltlich passiert", beschreibt Korte dieses Phänomen. Auf der anderen Seite sei der Wähler zu einem "Schnäppchenjäger" geworden. Das belege die hohe Zahl der Nicht- und Wechselwähler. Das hätte auch an den "schwachen Häuptlingen" Merkel und Steinmeier beim letzten Wahlkampf gelegen. Beide hätten wenig Pointierung gezeigt. "Sie waren mehr Taktiker, weniger Großstrategen im Hinblick auf inhaltliche Aspekte", so das Urteil des Professors. Auch das Auftreten von Politikern in Medien spiele eine wichtige Rolle. Dort dominiert nach Ansicht von Korte eine "Darstellungspolitik" und weniger eine "Entscheidungspolitik". Die endlosen Talkshows seien letztendlich ein "Abfragen von Reflexen, nicht von Inhalten". Der Auftritt zähle, nicht das Argument. Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Wähler hätten auch demoskopische Umfragen. "Wir lieben das Messbare, weil uns die Maßstäbe fehlen", so Korte. Inhalte spielten da kaum eine Rolle. Der Professor plädierte für eine "Wortpolitik", die Politik erklärt und begründet: "Worte schaffen Realitäten. Sprachverlust führt zu Machtverlust."

(RP)
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