Coronavirus und Obdachlosigkeit „Die Leute denken zuerst an sich selbst“

Duisburg · Der Verein Gemeinsam gegen Kälte muss wegen der Corona-Epidemie seine Unterstützung für Obdachlose in Duisburg herunterfahren. Lebensmittel zu besorgen, ist zu einer Herausforderung geworden. Im Supermarkt werden die Helfer angefeindet.

 Die Obdachosen- und Trinkerszene trifft sich in Duisburg immernoch in großen Gruppen. Das Ordnungsamt schreitet regelmäßig ein.

Die Obdachosen- und Trinkerszene trifft sich in Duisburg immernoch in großen Gruppen. Das Ordnungsamt schreitet regelmäßig ein.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Das Leben auf der Straße ist hart. Die Entwicklungen wegen des Coronavirus machen es noch härter. Kurt Schreiber, Vorsitzender des Duisburger Obdachlosen-Hilfevereins Gemeinsam gegen Kälte, treibt es in diesen Tagen regelmäßig die Sorgenfalten auf die Stirn, wenn er an seine nächsten Versorgungstouren denken muss. „Wo bekomme ich Brot her? Wo Butter? Wo Wurst“, fragt er sich. „In den Supermärkten wird das zunehmend schwierig. Wir brauchen größere Mengen von allem. Und wenn wir damit an den Kassen auftauchen, müssen wir Anfeindungen von anderen Kunden über uns ergehen lassen und ständig mit dem Personal diskutieren.“

Die Obdachlosenhilfe in Duisburg steht unter Druck. Der Kältebus, mit dem der Verein täglich die bekannten Szenetreffpunkte in der Innenstadt und in Hamborn anfährt, muss still stehen. „Zu unsicher“, erklärt Schreiber. „Auch wir sind angehalten, dafür zu sorgen, dass es keine größeren Menschenansammlungen gibt.“ Darüber hinaus liegt auch die mobile medizinische Versorgung brach. „Die Behandlungen können wir derzeit auch nicht machen“, sagt Schreiber. „Uns fehlt es an Schutzausrüstung wie Handschuhen, Desinfektionsmittel, Kitteln und Masken. Der Medizinbus ist deshalb aktuell nicht unterwegs.“ Das Virus trifft außerdem die Streetworkeinrichtung des Suchthilfeverbunds in der City. Auch sie muss ihre Türen geschlossen halten. „Um wenigstens die Minimalversorgung aufrecht erhalten zu können, lassen sie die Leute da immerhin noch einzeln rein“, sagt Schreiber. Das sei aber auch alternativlos. „Wo sollen die Leute denn sonst sich oder ihre Kleidung waschen?“

Besonders hart sei die Lage für Obdachlose aus Nicht-EU-Ländern und jene, die aus dem einen oder anderen Grund keinen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen in Deutschland hätten. „Die sind hier nicht einmal krankenversichert“, sagt Schreiber. „Da kann jedes kleine medizinische Problem direkt zu einem großen werden. Und von einer Virusinfektion habe ich da noch gar nicht gesprochen.“

Um überhaupt noch Hilfe leisten zu können, fahren die Vereinsmitglieder dreimal in der Woche mit gepackten Essenstüten in ihren Privatautos durch die Stadt. Davon verteilen sie immer zwischen zehn und 20 Stück direkt an ihnen bekannte Personen. „Da ist Brot drin. Butter, Shampoo, Wurst – Dinge, die man eben zum Leben und Überleben brauchen kann.“ Die Besorgung dieser Güter fällt dem Verein zunehmend schwer. „Da treffen uns die neuen Abgaberegelungen der Stadt sehr hart“, sagt Schreiber. Sie bräuchten von bestimmten Waren einfach mehr als haushaltsübliche Mengen. Das führe im Supermarkt regelmäßig zu Problemen mit anderen Kunden und den Mitarbeitern. „Deshalb kann es auch schonmal sein, dass wir diverse Supermärkte hintereinander abklappern müssen, um alles zu bekommen, was wir brauchen. Das erscheint mit hinsichtlich des Seuchenschutzes auch nicht so wirklich sinnvoll.“

Die Verteilung einzustellen, kommt für die Vereinsmitglieder aber nicht infrage. Die Lage für die Obdachlosen sei aktuell sehr schwierig. Viele Restaurants, die freigiebig mit ihren Resten sind, seien geschlossen, die Tafel im Notbetrieb. „Wir sehen uns da schon in der Verantwortung, weiter für diese Menschen da zu sein.“

Um den Betrieb in dieser Form aufrecht erhalten zu können, ist der Verein auf Spenden angewiesen. „Das kann Geld sein, das könnnen aber auch Lebensmittel sein“, sagt Schreiber. „Einfach kurz anrufen, Tüte packen und die bei uns vor die Türe stellen. Wir sorgen dann dafür, dass sie ankommt.“ Von Hilfsaktionen mit Essenstüten an Bauzäunen, wie sie zuletzt deutschlandweit in den Schlagzeilen waren, hält Schreiber zumindest für Duisburg nicht viel. „Die Geste ist schön, die Erfahrung zeigt aber, dass die Lebensmittel von Leuten geklaut werden, die sie eigentlich überhaupt nicht brauchen. In der Krise denken viele Leute leider zuerst an sich selbst.“

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