Duisburg Christian Brückner belebte Joachim Ringelnatz

Duisburg · "Ich sag' es ja Mutter: Du hast für dich recht / Diese Weiber sind durch und durch schlecht / Und gänzlich verseucht und völlig verkommen. / Du hast das von deinen lieben Eltern und aus Büchern entnommen..." ; zitiert aus dem Gedicht "Bordell" von Joachim Ringelnatz (1883-1934). Die Scheinheiligkeit, der beißende Spott, das wohlgeordnete Bürgertum, der Suff, die Bordsteinschwalbe, die Krätze, das Hafen- und Rotlichtambiente, seine sehr speziellen sozialen Kontakte, nicht zuletzt seine Kunstfigur "Kuttel Daddeldu" – alles fließt ungehemmt aus der Ringelnatz-Feder, die in "sauberen" Auszügen zum Glück immer noch in deutschen, vom Bildungsbürgertum gereinigten Schullesebüchern ausgestellt wird.

Aber gerade der Schmutz, das Kranke, das Verdorbene scheint dem Lebenskünstler Ringelnatz magisch angezogen zu haben. Alles verschachtelt, das vogelfreie Fabulieren, mit um die Ecke gedachter herber Sprachbrocken, die meist schwer mit ihrem speziellen Humor daherkamen. Ein Humor bei dem einem warm und kalt zugleich werden konnte – bei Christian Brückners tadellosem Vortrag sowieso.

Passte zur fünften Jahreszeit

Ein vorzügliches, literarisches Programm; ein Glücksfall für die Duisburger Stadtbibliothek. Ein Programm, das in seiner Opulenz und Zügellosigkeit so recht in die fünfte Jahreszeit passte, wo sich das ungehemmte Treiben und die pralle Lust, der sogenannte Humor, sich ein nicht immer harmloses Stelldichein geben werden.

Brückner fing dies gekonnt in Mimik, Gestik und seinem wunderbaren Sprechen ein. Brückner zappelte, wankte, wägte und brach die Texte mit virtuoser Leichtigkeit und großem Spaß auf. Ja, Ringelnatz schien ihn selbst, sehr persönlich zu berühren. Ein unglaublich interessiertes, lauschendes Duisburger Publikum, das sich offensichtlich gut an einzelne Gedichte erinnern konnte, sie vielleicht sogar einmal auswendig in der Schule vortragen musste – gut so – geglückte Bildung!

Christian Brückner war und ist mit Joachim Ringelnatz sehr nah am Puls unserer Zeit, was das Gedicht "Draussen schneit's" eindringlich belegte. Hier wurde ein "freier Künstler" beschrieben, der als einer von regelmäßiger eintöniger Arbeit frei gestellter, sich in seinem Schicksal mehr oder weniger komfortabel eingerichtet hatte. Und ein Schaukelpferd, genannt "Bubi", dass dieser freie Künstler mit seiner Frau, die eben doch kein Kind erwartete, fachmännisch zerlegte und zur Befeuerung des Ofens nutzte: "Da können wir nach Belieben / Die Arbeit auf später verschieben. /...Freilich: Der feste Lohn fällt nun fort, / Aber die Freiheit ist auch was wert. / Und das mit dem Schaukelpferd / Ist jetzt unser Wintersport."

Für so viel Zeitgemäßes gab es viel Applaus für den freien Sprechkünstler Christian Brückner.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort