Menschen mit gesetzlichem Betreuer Die alten Erstwähler

Duisburg · Rund 80.000 Menschen in Deutschland haben einen gesetzlichen Betreuer. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen sie in diesem Jahr zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. In Duisburg startet nun ein landesweit einmaliges Projekt.

 Eine Frau wirft in einem Briefwahlbüro ihren Wahlschein in eine Wahlurne. Seit 2019 dürfen auch Menschen mit gesetzlichem Betreuer wählen.

Eine Frau wirft in einem Briefwahlbüro ihren Wahlschein in eine Wahlurne. Seit 2019 dürfen auch Menschen mit gesetzlichem Betreuer wählen.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

In Artikel 38 des Grundgesetzes steht einer der wichtigsten Sätze unserer Demokratie: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ Darin steckt ziemlich viel, aber vor allem bedeutet er: Jeder Staatsbürger darf wählen. Man könnte nun denken: Ist ja irgendwo selbstverständlich. Bis zuletzt war es das nicht. Bei der Bundestagswahl 2017 durften Tausende Deutsche ihre Stimme nicht abgeben – und das nicht, weil sie zu jung waren.

Von der Wahl ausgeschlossen sind neben bestimmten Straftätern, die etwa wegen Hochverrat oder Wahlfälschung angeklagt waren, nur Kinder und Jugendliche. 2017 durften allerdings auch Menschen mit einem gesetzlichen Betreuer nicht wählen. Zumeist handelt es sich dabei um geistig Behinderte. Zwei Jahre später kippte das Bundesverfassungsgericht die Praxis. In Deutschland können damit in diesem Jahr mehr als 80.000 Menschen zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl teilnehmen. Hilfe brauchen sie allerdings trotzdem. Denn ein Stimmzettel kann ganz schön kompliziert aussehen.

In Duisburg hat sich in den vergangenen Jahren ein Bündnis zusammengeschlossen, dass Menschen mit Behinderung den Zugang zum Wahlsystem und den Programmen der Parteien erleichtern will. Die Lebenshilfe Duisburg, der Paritätische Wohlfahrtsverband in Duisburg und die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) organisieren kurz vor der Bundestagswahl dazu mehrere Veranstaltungen. „Das ist klassische politische Bildung und bislang im Landesverband NRW einmalig“, sagt Dirk Tänzler, Kreisgruppengeschäftsführer beim Paritätischen in Duisburg. In der Stadt stehen derzeit rund 2000 Menschen unter gesetzlicher Betreuung. 

Kompliziert sei neben den politischen Programmen vor allem auch das Wählen selbst, erklärt Katrin Scheffzik von EUTB. „Viele verlieren allein beim Stimmzettel schnell den Überblick, da steht ja wirklich sehr viel drauf .“ Am einfachsten sei es für Menschen mit Behinderung deshalb ihre Stimme per Brief abzugeben, dann könne man bei Fragen immerhin noch helfen. Gewählt wird aber natürlich geheim.

Am 31. August findet in Duisburg die erste Veranstaltung statt. Im Gabrielhaus an der Gneisenaustraße werden ab 18 Uhr die Abläufe und die Bedeutung von Wahlen erklärt. Am kommenden Dienstag, 7. September, sind dann Politiker der Parteien in der Kulturkirche Liebfrauen zu Gast. Dort sollen sie mit Menschen mit Behinderung ins Gespräch kommen und in jeweils fünf Minuten ihr Parteiprogramm in einfacher Sprache vorstellen.

Ihre Teilnahme zugesagt haben die drei Direktkandidaten Thomas Mahlberg (CDU), Mirze Edis (Die Linke) und Charline Kappes (FDP) sowie Grünen-Sprecherin Jule Wenzel und die SPD-Landtagsabgeordnete Sarah Philipp. Bereits bei der Kommunalwahl 2020 habe man mit diesem Format gute Erfahrungen gemacht. „Die Parteien haben im vergangenen Jahr sofort zugesagt, auch 2021 wieder zur Verfügung zu stehen“, sagt Michael Reichelt, Geschäftsführer der Lebenshilfe in Duisburg. Die AfD habe man im Übrigen gar nicht erst angefragt. „Die Partei hat oft genug bewiesen, dass sie von Inklusion nichts hält.“ Der NRW-Landesverband der Lebenshilfe hat bereits 2017 einen Unvereinbarkeitsbeschluss  gefasst, nachdem der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ‚Denkmal der Schande‘ bezeichnet hatte.

Thematisch, so erzählt es Scheffzik, geht es Menschen mit Behinderung übrigens um ganz ähnliche Themen wie allen anderen auch. „2020 bei der Kommunalwahl klagten viele über Bushaltestellen, die nicht mehr da sind oder Supermärkte, die schließen mussten.“

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