Duisburg Blind mit Absicht

Duisburg · In einem Selbstversuch versetzt sich unsere Reporterin Anja Streichan in die Welt der Blinden. Beim Blindensport erkennt sie, wie selbstverständlich das Sehen für sie ist und wie man ohne Augenlicht zurechtkommen kann.

 Stefan Kairies und Heinz Schwarz (rechts vorne) sowie Trainer Peter Naczke und Horst Schilbach (im Hintergrund, von links) sind auf dem Sportfeld ein eingespieltes Team, auch ohne sehen zu können.

Stefan Kairies und Heinz Schwarz (rechts vorne) sowie Trainer Peter Naczke und Horst Schilbach (im Hintergrund, von links) sind auf dem Sportfeld ein eingespieltes Team, auch ohne sehen zu können.

Foto: Probst, Andreas

Nach vier Stunden bekomme ich Panik. Einen halben Tag wollte ich mit zugeklebten Augen verbringen, aber nach einem Drittel der Zeit halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich stoße an, kann mich nicht orientieren, im Auto wird mir übel. Ich reiße mir die Pflaster vom Gesicht.

Heinz Schwarz kann sich nicht einfach die Pflaster von den Augen reißen. Der 63-jährige Duisburger ist vor acht Jahren erblindet — grüner Star. Das fehlende Augenlicht ist für ihn vor allem lästig. "Ärgerlich ist es, wenn man im Stress ist und weniger Konzentration aufbringen kann", erzählt er mir. "Da passiert es schon einmal, dass ich meine Tasse falsch herum auf den Kaffeeautomaten stelle und es erst merke, wenn der Kaffee schon längst übergelaufen ist."

Mein Besuch in der Welt der Blinden beginnt am Morgen. Ich koche mir einen Tee. Langsam taste ich nach Wasserkocher, Tasse und einem Teebeutel. Vorsichtig fühle ich mit dem Zeigefinger, wie viel heißes Wasser ich mir eingeschenkt habe.

Blindheit entschleunigt das Leben. In meinem Fall liegt das auch daran, dass ich mich nur schwer in meiner eigenen Wohnung orientieren kann. Ich schätze die Abstände zwischen den Möbeln falsch ein; weiß nicht genau, welchen Pullover ich angezogen habe; kann nicht fernsehen oder im Internet surfen. Das Treppenhaus scheint eine unüberwindliche Hürde.

Das Treppenhaus entdecken

Auch für Heinz Schwarz ist es manchmal schwer, sich zurechtzufinden. Ihm ist es deswegen wichtig, zu zeigen, dass er genau so aktiv ist wie andere. Beim Blindensport schleppt auch er die schweren Matten über eine Treppe aus der Sporthalle. Schwarz will selbstständig sein und selbstständig entscheiden, ob er Hilfe braucht: "Das hat natürlich viel mit Stolz zu tun", gibt er zu. "Aber es reicht, wenn Menschen mir sagen, wie viele Stufen ich noch gehen muss, oder wo die Tür ist." Wie unangenehm es ist, unvermittelt angefasst zu werden, erlebe auch ich. Langsam und bedächtig möchte ich das Treppenhaus hinabsteigen. Ich will mir diesen Ort mit steilen Ecken und Kanten selbst mit den Füßen ertasten. Stattdessen wird mein Arm gepackt, und ich werde über die Stufen geführt — etwas zu schnell, etwas zu unsanft. Ich stolpere und taumle, kein schönes Gefühl.

Wie viel das Sehen mit meinem Körpergefühl zu tun hat, erlebe ich beim Blindensport, zu dem mich Heinz Schwarz eingeladen hat. Während ich mich unsicher durch die Halle taste, spüre und höre ich, dass die anderen sicheren Schrittes durch die Halle laufen. "Am liebsten spielen wir zusammen Torball", erzählt Heinz Schwarz und drückt mir einen Gummiball in die Hand, in dessen Inneren Metall klappert.

Ich kann hören, wenn der Ball auf mich zu rollt. Auf einer Matte kniend muss ich abwechselnd als Torwart verhindern, dass der Ball meine Matte überquert, und durch kräftiges Rollen des Balls auf den Gegner selbst ein Tor erzielen.

In meiner Mannschaft spielt Horst Schilbach. Er ist 69 Jahre alt und war lange Zeit Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Er wirft sich regelrecht auf den Ball — das schließe ich zumindest aus dem Krach, den er dabei macht. Ich traue mich nicht, so viel Körpereinsatz zu zeigen. Heinz Schwarz und Horst Schilbach kennen diese Bedenken beim Spiel nicht. Während ich noch auf Knien nach dem klappernden Ball taste, sind sie schon längst aufgestanden, haben den Ball aufgehoben und mir in die Hände gedrückt.

Sprache zur Orientierung

Beim Sport steht die Kommunikation an erster Stelle. Die Sprache dient als Orientierungshilfe, als Warnung vor Hindernissen und als Erklärung für die Übungen. Zum Aufwärmen machen wir gemeinsam Tae-Bo. "Rechts, rechts, links, rechts, links", ruft Trainer Peter Naczke. Wir sollen mit den Armen in die Luft boxen. Ich habe das Gefühl, dass ich kläglich versage.

Als ich die Pflaster nach vier Stunden von den Augen nehme, blendet mich das Licht. Die Räume wirken größer und detailreicher als in meiner Vorstellung. Ich habe gelernt, wie selbstverständlich das Sehen für mich ist. So selbstverständlich, dass ich es manchmal gar nicht mehr zu schätzen weiß.

(RP/ac)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort