Lesung Eintauchen in den Fluss der Wörter

Duisburg · Im Rahmen der Ausstellung „Kunst und Kohle“ stellte die Duisburger Dichterin Barbara Köhler im Museum DKM ihr neuestes Werk vor.

 Barbara Köhler kurz vor ihrer Lesung von „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss” im Museum DKM.

Barbara Köhler kurz vor ihrer Lesung von „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss” im Museum DKM.

Foto: RP/Andreas Probst (apr)

Zuletzt wurde sie mit dem renommierten Peter-Huchel-Preis (2016), dann mit dem nicht weniger angesehenen Alice-Salomon-Poetik-Preis (2017) und jüngst mit dem Ernst Meister-Preis (2018) geehrt. Außerdem schreibt sie – Lyrik und Prosa und ab und zu auch Zeitungsaufsätze. Am Sonntag stellte die renommierte Duisburger Dichterin Barbara Köhler, die seit Jahren in Ruhrort lebt und arbeitet, ihre jüngste Veröffentlichung vor: „42 Ansichten zu Warten auf den Fluss“.

Die Lesung im Museum DKM war Teil des städteübergreifenden Ausstellungsprojektes der Ruhr-Kunst-Museen zum Ende der Steinkohleförderung in Deutschland „Kunst und Kohle“. Das Privatmuseum von Dirk Krämer und Klaus Maas hat sich neben weiteren 19 Kunstmuseen aus 15 Revierstädten darin eingebracht. Unter dem Titel „Die schwarze Seite“ widmet sich das Duisburger Museum mit einer Gruppenpräsentation, die noch bis Mitte September dort zu sehen ist, der Lebens- und Arbeitswelt der Bergleute (die RP berichtete). Dem DKM langjährig verbundene Künstler stellen hier jeweils thematisch verschiedene Arbeiten aus. Jedem von ihnen stellte das Museen einen eigenen Raum zur Verfügung. Köhlers Raum trägt den Titel „Zur Sprache des Bergbaus“. Dort stellte sie den in der Edition Korrespondenzen (Wien 2017) erschienenen Text der „42 Ansichten“ vor.

Im Sommer 2016 ist die 1959 in Burgstädt bei Chemnitz geborene Lyrikerin und Übersetzerin einer Einladung des niederländischen Künstlerkollektivs „Observatorium“ gefolgt und hat, wie sie einleitend in ihrem Buch schreibt, gelegentlich auf einer dort errichteten, begehbaren Skulptur, die zum Kulturhauptstadtjahr 2010 entstand, unter dem Titel „Warten auf den Fluss“ übernachtet. „Ich habe mit Kurzbesuchern gesprochen, mit Übernachtungsgästen gegessen, getrunken, Schiffe auf dem Rhein-Herne-Kanal im Dunkeln vorbeiziehen sehn und (…) Bauarbeiter, Eisvögel und Nutrias beobachtet.“ Die rund 38 Meter lange, überdachte Brückenskulptur ist in drei Pavillons gegliedert. Ihre Zickzackform ermöglicht aus den großflächigen Fenstern ein weites Panorama auf die umgebende Landschaft und schafft kleine Innenhöfe zwischen den Pavillons. Bis das neue Emschertal im Jahr 2020 Realität wird, dient diese Brücke mit ihren Aufenthaltsräumen dem „produktiven Warten“, denn genau dort soll in Zukunft die renaturierte Emscher fließen. Warten auf den Fluss versteht sich folglich als eine noch „schlafende Brücke“.

Einer dieser Pavillons diente Köhler als sogenannte Schreibklause. Ihr Warten als auch ihre Beobachtungen und Betrachtungen und Gespräche setzte sie in Gedichte um – wie zum Beispiel diesem hier: „Warten. Warten: das Warten, die. Warten auf den Fluss: Fenster, in leicht erhöhter Lage, ermöglichen eine andere Sicht, es gibt einen Rahmen, ein Bild, eine Perspektive: von dieser Warte aus. Es gibt eine Mehrzahl davon, mehr als ein Fenster, mehr als einen Raum, einen Rahmen, es gibt das Verbindende der Brücke, auf die alle Räume hinauslaufen, dazwischen, da steht ein Tisch, er ist solide gebaut und lässt sich doch leicht verschieben, daran kann man Platz nehmen im Gespräch und für Essen und Trinken ist gesorgt, so entsteht ein Wir im Wort und -sinn durch Bewirtung.“

Das Buch enthält 44 derart inhaltlich und formal gestaltete Texte. Sie alle sind als Neunzeiler mit je 62 Zeichen je Zeile im Blocksatz aufbereitet. So entstand ein Buch, „das von Deindustrialisierung und Renaturierung spricht, von der örtlichen Brache und einem toten Fluss, dessen Geschichte und Geschichten, von Realitäten und Utopien, Landschaften und Technik in einer von Menschen immer wieder neu gemodelten und (ab)genutzten Gegend“, heißt es im Klappentext. Doch nicht nur jene
44 Gedichte einschließlich ihrer Einleitung („Vorausgesetzt“) las die ungemein sprachgewandte wie auch sprechgeübte Autorin, sondern auch die eigens für die DKM-Ausstellung von ihr getexteten und mit schwarzer Schrift auf schwarzem Untergrund grafisch gestalteten vier Zehnzeiler, die sie auf Grundlage eines einschlägigen Bergwerklexikons gedichtet hatte. Hier ein paar aphoristische Kostproben von Barbara Köhler: Warten überbrückt Zeit / Wäre Warten eine Beschäftigung? Oder gerade das Gegenteil davon? / Die Gelegenheit ist eine beziehungsweise / Fluss ist, was fließt.

Dazu Klaus Maas: „Man muss die Texte schon laufend erlesen, denn man kann sie infolge der von Köhler beabsichtigten Spiegelung nur lesen, wenn man sich durch den Raum bewegt.“ Die DKM-Ausstellung ist eine gelungene Hommage an die Revierkohlezeit wie auch an die Ruhrregion selbst. Und: „Köhler hat es geschafft, den Bergleuten ein Denkmal durch Sprache zu setzen.“

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