Vorne gelangweilt, hinten geht die Puste aus Karnevalszüge und ihre eigene Dynamik

Duisburg · Der Physiker Petros Polichronidis befasst sich wissenschaftlich mit Verkehrsdaten von Festzügen. Nun hat er eine App entwickelt, die die Daten des Duisburger Rosenmontagszuges aufzeichnen soll.

 Der Duisburger Rosenmontagszug aus der Vogelperspektive. Mit Hilfe einer neuen App soll in diesem Jahr seine ganz eigene Dynamik wissenschaftlich erforscht werden.

Der Duisburger Rosenmontagszug aus der Vogelperspektive. Mit Hilfe einer neuen App soll in diesem Jahr seine ganz eigene Dynamik wissenschaftlich erforscht werden.

Foto: Christoph Reichwein (crei)/Reichwein, Christoph (crei)

Petros Polichronidis ist Grieche. Der 31-jährige, der aussieht wie höchstens 24, stammt aus einer Einwandererfamilie, die in zweiter Generation in Duisburg lebt und ist in Beeck aufgewachsen. „Das ist da, wo das Heizkraftwerk von ThyssenKrupp ist. Das Viertel grenzt an Bruckhausen, Meiderich und Hamborn“, erklärt er. „Das war lange mein Zuhause“, betont er, der in Duisburg geboren ist, hier die Schule besucht, sein Abitur gemacht und schließlich begonnen hat, Physik an der Universität Duisburg-Essen zu studieren. In letzten Jahr hat er mit seiner Promotion begonnen und hat eine App entwickelt, die Verkehrsdaten von Festzügen für die Forschung aufzeichnet. Dabei nimmt er den Rosenmontagszug in Duisburg genau ins Visier.

Das nennt man eine steile Karriere, die er so nie geplant hat. Der junge Mann, der in Mathematik und Informatik immer sehr gut war, wollte eigentlich Jazzgitarrist werden. Auf eine einschlägige Ausbildung hat die Niederrheinische Musikschule ihn schon vorbereitet. Doch dann siegte bei ihm die Vernunft über die Leidenschaft. „Mir war klar, dass das Leben als Jazzgitarrist eher eine brotlose Kunst werden könnte. Und so habe ich mich für Physik eingeschrieben, zunächst als Parkstudent, um mich zu orientieren, und dann bin ich richtig in die Materie eingetaucht“, erzählt Petros Polichronidis.

 Der Physiker Petros Polichronidis vor den „Keksdosen“ der Universität am Duisburger Campus.  Foto: Christoph Reichwein

Der Physiker Petros Polichronidis vor den „Keksdosen“ der Universität am Duisburger Campus. Foto: Christoph Reichwein

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Das Talent zu Naturwissenschaften und dem logischen Denken scheint ihm genauso wie seinem drei Jahre jüngeren Bruder zu liegen, der in Aachen Maschinenbau studiert.

Petros hat 2008 zunächst begonnen, Experimentalphysik zu studieren und 2014 seinen Bachelor gemacht. Thema: Inbetriebnahme und Optimierung eines Raster-Elektronenmikroskops zur Lokalisierung von 2-D-Materialien. Nachdem er gemerkt hatte, dass die Berufsaussichten für Experimentalphysiker eher durchwachsen sind, wechselte er in die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Michael Schreckenberg zum Thema „Physik von Transport und Verkehr“ und damit in die theoretische Physik. Er fragte Schreckenberg nach einer Masterarbeit, und weil er mit sehr gutem Erfolg seinen Bachelor abgeschlossen hatte, bekam er sein Thema. So begann er mit der Auswertung der Verkehrsflüsse der Kölner Rosenmontagszüge, deren Daten er von 2013 bis 2016 auswertete. Dafür wurden etwa 60 Leute mit GPS-Geräten ausgestattet. „Wir wollten herausfinden, warum die Lücken im Zug entstehen und die Leute hinten aus der Puste waren“, erklärt er. Das Phänomen ist einfach und einleuchtend: „Vorne gibt es durch die vorausfahrende Feuerwehr eine natürliche Bremse. Wenn diese Bremse weg ist, laufen die Leute ungeordneter. Und wenn dann Lücken entstehen, gibt es den Negativstau und die weiter hinten müssen schnell aufholen, um noch mitzukommen“. Dass die Pausen an den Auffüllstationen für Kamelle zu lang sind und die Jecken aus dem Zug zu viel mit dem Publikum reden, sind Gründe dafür, dass Lücken entstehen. Kameras, die er 2017 und 2018 für die Untersuchungen am Zugweg aufgestellt hat, belegen das. Ergebnisse hat er als wissenschaftliche Veröffentlichung in „Europhysics Letters“ zusammengefasst, die als „Editors Choice“ mehr als lesenswert war.

Nun hat Petros Polichronidis eine kostenlose App entwickelt, die die Daten am Duisburger Rosenmontagszug aufzeichnen soll. „Die sollte diese Woche noch fertig sein und im App Store heruntergeladen werden können“, kündigt er an. Die Ergebnisse werden im Vergleich mit anderen Zügen in Düsseldorf und Köln analysiert, Vergleichsstudien zu beiden Städten gibt es bereits. „Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Dynamik im Karneval im Vergleich zu Schützenumzügen ist. Die sind deutlich disziplinierter und laufen eher im Stechschritt, während die Karnevalisten eher individuell sind. Hier gilt das Motto: ,, Jeder nach seiner Facon“, betont er.

Die App heißt „Motion Tracker UDE (Universität Duisburg-Essen), RMZ (Rosenmontagszug), die Fortbewegungsart wird unterteilt in Reiter/Pferd, Pferdekutsche, zu Fuß, motorisiert“. „Wir suchen Menschen, die uns helfen, diese Daten aufzuzeichnen. Wir wollen herausfinden, warum die Menschen vorne gelangweilt und hinten im Zug aus der Puste sind?“ fügt er hinzu.

Was er nach seiner Promotion macht? „Mal schauen. Ich würde gern nach Berlin oder Hamburg gehen, auch die Schweiz reizt mich“, sagt er. Wenn er nach Hause kommt, ist er froh, nicht mehr mit Zahlen zu hantieren. „Ich koche sehr gerne, griechisch, indonesisch, deutsch.

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