Altenpfleger in Duisburg Ein Knochenjob, der Spaß macht

Duisburg · Im Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“ kümmert sich Harri Heckmann um viele Bewohner. Seinen Beruf hält er in gewissen Fällen für anstrengend, auch wenn er den Fachkräftemangel an seinem Arbeitsplatz nicht ausmachen kann.

 Pfleger Harri Heckmann sucht die richtigen Medikamente für einen Bewohner aus dem Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“.

Pfleger Harri Heckmann sucht die richtigen Medikamente für einen Bewohner aus dem Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“.

Foto: RP/Jan Luhrenberg

Es ist kurz nach acht Uhr morgens. Der Mann mit grauen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind, holt Tabak aus der Brusttasche des blaukarierten Hemdes, das in seiner weißen Hose steckt. Voller Vorfreude dreht sich Altenpfleger Harri Heckmann eine Zigarette, zündet sie an, nimmt einen langen Zug und genießt ein paar ruhige Momente auf einem Balkon im Dachgeschoss des Seniorenzentrums „Haus am Sandberg“ vom Deutschen Roten Kreuz.

Der Job als Altenpfleger kann sehr anstrengend sein. Ein Grund dafür ist der Fachkräftemangel, der sich nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums durch alle Pflegeberufe zieht. Viele freie Stellen könnten demnach nicht besetzt werden, weil es an Bewerbern fehlt. Im „Haus am Sandberg“ scheint dieses Problem allerdings noch nicht angekommen zu sein. Neben zahlreichen festen Mitarbeitern helfen hier Ehrenamtliche und Auszubildende.

Seit zwei Jahren arbeitet der 58 Jahre alte Heckmann bereits im Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes in Duisburg-Hochheide. „Erst im Alter von 41 Jahren habe ich die Ausbildung zum Altenpfleger gemacht“, sagt Heckmann in gutem Deutsch. Ein russischer Akzent ist allerdings nicht zu überhören. 1992 kam er nach Deutschland, lebte zuvor im Uralgebirge in der ehemaligen Sowjetunion. Warum er sein Heimatland verließ? „Ich hatte keine Verwandtschaft mehr, weil alle zuvor bereits ausgewandert waren“, erinnert er sich und zieht genüsslich an seiner Zigarette. Sofort steigt der Duft von Tabak in die Luft.

In der Sowjetunion hat er unter anderem jahrelang für das Militär als Elektroschlosser gearbeitet. Doch sein Ziel sei immer gewesen, Altenpfleger zu werden. „Der Beruf macht mir einfach Spaß“, sagt Heckmann. Sofort fängt er an zu lächeln. Früher wollte er Medizin studieren, das habe er aber nicht geschafft. Ein Job im Gesundheitssektor liegt dem 58-Jährigen sogar im Blut: Viele Familienmitglieder haben als Arzt oder Krankenschwester gearbeitet.

Die kurze Pause ist abrupt vorbei. Der Pfleger zieht die Tür zu Zimmer 309 auf. Dem Ehepaar, das in diesem Raum lebt, geht es nicht gut. Der Frau ist übel, sie sitzt mit ihrem Rollstuhl vor dem Waschbecken und würgt lautstark. Der Mann liegt im Bett und kann nur schwer atmen. So schnell Heckmann in das Zimmer gestürmt ist, so eilig verlässt er es auch wieder, um Medikamente zu holen. „Wo haben Sie denn wieder ihren Becher versteckt?“, fragt er die ältere Dame scherzhaft. Sie bekommt ein Mittel gegen Übelkeit.

Der Pfleger eilt durch die Flure des Pflegeheims. Seit 6.30 Uhr hat er schon Dienst, ist um fünf Uhr aufgestanden. „Ich bin zum Glück Frühaufsteher und schlafe nie länger als bis fünf Uhr morgens“, sagt er und wischt sich die ersten Schweißperlen von der Stirn.

Im nächsten Zimmer wohnt ebenfalls ein Ehepaar, beide sind schon älter als 90 Jahre alt. Der Mann muss gewaschen werden, da er halbseitig gelähmt ist. Heckmann geht ganz nah an den Ehemann heran, zieht ihn an sich und streift ihm das blaue T-Shirt mit dunklem Aufdruck gekonnt über den Kopf. Er schmeißt den Einmalhandschuh in eine kleine blaue Wanne und steckt seine rechte Hand in einen hellblauen Waschlappen. Beim Waschen muss der Pfleger den Bewohner immer wieder drehen. Das ist harte Arbeit. Ein Knochenjob. Heckmann atmet mehrmals laut, die Anstrengung ist ihm anzusehen. Pfleger sei definitiv ein anstrengender Beruf, sagt Heckmann. „Es ist schon eine Belastung“, sagt der verheiratete Pfleger sowie zweifache Vater und Opa. Viele Kollegen hätten eher Probleme mit dem Rücken, er aber noch nicht. „Ich bin für mein Alter noch fit, habe früher viel Sport gemacht.“ Ein Ausgleich zum anstrengenden Beruf sei äußerst wichtig. „Ich gehe den Hund meiner Tochter ausführen oder arbeite in meinem Schrebergarten.“

Der Pfleger geht zu einem hölzernen Schrank, der an der rechten Wand des Raums steht, nimmt ein kleines weißes Fläschchen vom Regalboden, das eine Flüssigkeit enthält, und reinigt mit diesem speziellen Mittel die Wunde  des Ehemanns am Bauch – genau an der Stelle, wo der Dauerkatheter eingesetzt ist. „Außer für Ohren, Augen und Schlucken kann man dieses Mittel für alles benutzen“, scherzt er dabei. Danach legt er einen frischen Verband an.

An diesem Morgen ist der 58-jährige Pfleger zusammen mit mehreren Kollegen für das gesamte Dachgeschoss im „Haus am Sandberg“ zuständig. Hektik kommt bei ihm trotzdem nicht auf. „Innerlich bin ich immer ruhig“, sagt er. So könne er sich am besten um die Bewohner kümmern. Von einem Fachkräftemangel, der der Pflegebranche immer wieder nachgesagt wird, sei im „Haus am Sandberg“ auch wenig zu spüren. „Ich merke nicht, dass uns Personal fehlt“, sagt Heckmann. Dennoch sei es bedeutend anstrengender, wenn zum Beispiel mehrere Kollegen gleichzeitig im Urlaub seien.

Für Heckmann ist klar: Ein guter Pfleger richtet sich immer nach den Bedürfnissen der Bewohner. „Je besser es ihnen geht, desto besser geht es mir auch.“ Dabei sollten die Bewohner so selbstständig wie möglich bleiben und sich zum Beispiel so lange selber waschen, wie sie es können. Muss der Pfleger solche Aufgaben übernehmen, ekelt er sich keinesfalls. „Daran bin ich gewohnt“, sagt der 58-Jährige.

Es geht im Eiltempo weiter. Den Gang herunter springt der Pfleger in das nächste Zimmer. An der Wand hängen Hochzeitsfotos. Im Regal stehen Blumen und ein bunter Ballon mit der Aufschrift „Happy Birthday“. Eine der Bewohnerinnen hatte letztens Geburtstag. In einem regelmäßigen Abstand piept es mechanisch. „Das ist die Ernährungspumpe“, erklärt Heckmann. Weil die Bewohnerin Schluckbeschwerden hätte, bekomme sie Wasser und Nahrung über einen Zugang direkt in den Magen. Um den Zugang zu prüfen, wirft Heckmann die blau-gelb gestreifte Decke weg. Die Dame hält einen kleinen braunen Teddybären in den Armen. „Ohne ihn kann sie nicht“, so der Pfleger. Die Bewohnerin kann nicht mehr richtig sprechen. Der erfahrene Pfleger weiß dennoch genau, was sie braucht. „Ich kann ihr das am Gesicht oder an ihren Kopfbewegungen ablesen“, sagt Heckmann. Die Bewohnerin bekommt etwas Apfelmus und sinkt zufrieden in ihr Kopfkissen.

Über zwei Stunden nach seiner letzten Zigarette sitzt Heckmann erneut auf dem Balkon. Er dreht sich eine Zigarette und leckt das Filterpapier mit der Zunge feucht, damit er es rollen kann. Der Pfleger nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch wieder aus. „Hier draußen kann ich für ein paar Minuten meine Seele reinigen“, sagt er. „Ich bin mehrmals am Tag hier, gehe an die frische Luft und schaue ins Grüne, um den Kopf frei zu bekommen.“

In solchen Momenten gingen dem Pfleger manchmal viele Themen durch den Kopf. Er habe sich allerdings abgewöhnt, über das Altern oder den Tod nachzudenken, zwei Sachen, mit denen er ständig in Kontakt gerät. „Ich habe gelernt abzuschalten“, sagt er mit ernster und ruhiger Stimme.  „Wenn du 24 Stunden am Tag darüber nachdenkst, dann gehst du kaputt.“ Seine Schicht dauert jetzt noch viele Stunden. Erst um 15 Uhr hat er Feierabend. Mit ein paar weiteren Pausen auf dem Balkon wird er das sicher durchstehen.

(jlu)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort