Duisburg Als die Gastarbeiter zu uns kamen

Duisburg · Im Rahmen der Veranstaltungsreihe im Landesarchiv "Gekommen, um zu bleiben?" referierte Dr. Martin Schlemmer darüber, wie die "Gastarbeiter-Frage" aus Sicht der Landesregierung politisch begleitet wurde.

Ein Stück bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte wurde am Dienstagabend im Vortragssaal des Landesarchivs lebendig. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Gekommen, um zu bleiben?" referierte Dr. Martin Schlemmer darüber, wie die "Gastarbeiter-Frage" aus Sicht der Landesregierung politisch begleitet wurde. Betrachtet wurde dabei der Zeitraum von 1946 bis 1980.

Der Vortrag des Historikers unter der Überschrift "Gerufen, und doch hinausgewünscht?" begann mit der Schilderung der Situation der Nachkriegszeit, als zu Beginn der 1950er-Jahre erste Anzeichen eines sich rasch entwickelnden starken wirtschaftlichen Aufschwungs deutlich wurden. Schnell wurde klar, dass die einheimischen Arbeitskräfte den stark wachsenden Bedarf der Wirtschaft nicht mehr decken konnten. Auf Betreiben der Wirtschaftsverbände warb die Bundesrepublik bereits ab 1953 im europäischen Ausland um Arbeitskräfte. Geplant war ein zeitlich begrenzter Arbeitsaufenthalt. Durch Rotation - neue ausländische Arbeitskräfte sollten die Rückkehrer ersetzen - sollte gewährleistet werden, dass dem Arbeitsmarkt für einen längeren Zeitraum eine ausreichende Zahl von "Gastarbeitern" zur Verfügung stehen sollte.

Im Jahr 1955 kam es dann zum ersten regulären Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien. Zwischen 1960 und 1968 wurden weitere Abkommen mit einigen europäischen und auch nordafrikanischen Ländern vereinbart. Besonders im Steinkohlebergbau herrschte ein großer Bedarf an Bergleuten, der kaum zu befriedigen war. Die Anwerbung koreanischer Bergleute war der Grund für das 1963 vereinbarte Abkommen mit Südkorea. Bis 1977 haben rund 8000 koreanische Bergleute - vornehmlich in NRW - unter Tage gearbeitet. Die Arbeitskräfte, die aus den südeuropäischen Ländern "auf Zeit" in NRW in der Eisen- und Stahlindustrie, im Bergbau (hier betrug der Anteil ausländischer Arbeitnehmer 50 Prozent) und im Baugewerbe beschäftigt waren, wurden in der Regel für schwere und "niedere" Arbeiten eingesetzt, die eine geringe Qualifikation erforderten.

Die "Gastarbeiter" wurden über viele Jahre mit viel Skepsis betrachtet, ihre Bereitschaft mindere Arbeiten anzunehmen, Überstunden zu machen und an Feiertagen zu arbeiten, wurde von der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft gerade noch als notwendiger Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung akzeptiert. Die Wohn- und Lebensverhältnisse der ausländischen Arbeitnehmer waren prekär, zwei Drittel der Gastarbeiter lebten 1962 in primitiven Gemeinschaftsunterkünften, sozial isoliert und von ihren Familien getrennt. Erst im Jahr 1978 wurde der frühere NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) zum ersten "Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen berufen". Kühn forderte 1979 weitreichende Maßnahmen zur Integration der "Gastarbeiter", die entgegen der ursprünglichen Planung ihre Familien nachgeholt hatten und in Deutschland auf Dauer bleiben wollten. Auch NRW-Arbeitsminister Friedhelm Farthmann (SPD, 1975 bis 985) sah Politik und Bevölkerung in einer besonderen gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung, mahnte bessere Bildungschance ausländischer Kinder an und warnte vor Ghettobildungen in Wohngebieten. Vor allen Dingen wahltaktische Überlegungen führten dazu, dass nur ein geringer Teil der als unbedingt notwendig erkannten Maßnahmen umgesetzt wurden.

Martin Schlemmer erläuterte, dass der Anwerbestopp im Zuge der Wirtschaftskrise im Jahr 1973 Deutschland faktisch zum Einwanderungsland machte, da die ausländischen Arbeitnehmer befürchteten, nach einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht mehr in Deutschland arbeiten zu können. Viele Gastarbeiter und ihre Familien entschieden sich daraufhin, endgültig in ihrem Gastland zu bleiben.

Begleitend zur Veranstaltungsreihe wird im Landesarchiv die Fotoausstellung "So fing es an...." gezeigt, die das Leben der Migranten am Arbeitsplatz, im Wohnheim und während ihrer Freizeit zeigt. Das Landesarchiv befindet sich an der Schifferstraße 30 (Eingang Wasserseite), Tel. 0203/ 987210.

(RP)
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