Serie Internationales Düsseldorf "Zwei Heimaten machen das Leben reicher"

Düsseldorf · Die Kunst und die Wissenschaft sind grenzenlos. Aber auch in Düsseldorfer Unternehmen gehört eine internationale Belegschaft zum Alltag.

Michiko Mae ist seit mehr als 30 Jahren in Deutschland und leitet den Studiengang "Modernes Japan" an der Heinrich-Heine-Uni.

Michiko Mae ist seit mehr als 30 Jahren in Deutschland und leitet den Studiengang "Modernes Japan" an der Heinrich-Heine-Uni.

Foto: Anne Orthen

Wenn Michiko Mae über den Campus geht, dann begegnet ihr die Welt. "Die Universität ist ein internationaler Ort", sagt die japanische Professorin und meint nicht nur Studierende aller Kontinente, sondern auch die global vernetzte Arbeit ihrer Kollegen. Kein Wissenschaftler kommt heute ohne internationale Kontakte und Kooperationen aus. Die Forschung ist - wie die Kunst - grenzenlos. Aber auch in Düsseldorfer Unternehmen gehören ein weltoffenes Klima und eine internationale Belegschaft zum Alltag. Klaus Klar, Arbeitsdirektor der Rheinbahn, bringt es auf den Punkt: "Vielfalt ist ein Erfolgsfaktor."

Die Rheinbahn war das erste Unternehmen in NRW, das 2013 eine Vereinbarung mit dem Land unterschrieb, ein Bekenntnis zu Integration, Toleranz und partnerschaftlichem Verhalten. Dahinter steht die Einsicht: Der Verkehrsbetrieb würde ohne seine Mitarbeiter aus 33 Nationen auf der Strecke bleiben. Über 13 Prozent der Belegschaft haben Wurzeln irgendwo auf der Welt - ein Kosmos von unterschiedlichen Lebensperspektiven, Erfahrungen und Religionen. "Aber wir verstehen uns gut", versichert der Busfahrer Kwame Brempong.

Der Mann aus Ghana kam 1986 nach Deutschland, weil "die Welt in der ich lebte, falsch war". Er floh vor den politischen Wirren in seiner Heimat, seine Geschichte liest sich, als sei sie in heutigen Tagen geschrieben: Zwei Jahre warten auf sein Asylverfahren, "wenn der Postbote kam, hatte ich jeden Tag Angst vor der Abschiebung". Diese Zeit liegt lange zurück. Heute sitzt Kwame Brempong, Vater von vier Kindern, lachend im Kreis seiner Busfahrerkollegen und sagt: "Düsseldorf ist ein Ort, an dem man sicher leben kann." Und bei der Rheinbahn habe er einen Job bis zur Rente - "wo gibt es das noch?" Die Eintrittskarte zu diesem Leben sei die Sprache. "Wenn du Deutsch kannst, dann kriegst du hier Kontakt."

Cécile Tallec ist Co-Repetitorin an der Rheinoper. Die Französin lebt seit 13 Jahren in Düsseldorf.

Cécile Tallec ist Co-Repetitorin an der Rheinoper. Die Französin lebt seit 13 Jahren in Düsseldorf.

Foto: Andreas Endermann

Um ein funktionierendes Miteinander bemüht sich auch der firmeneigene Arbeitskreis "Vielfalt", der Besuche von Moscheen und der Düsseldorfer Synagoge, dem Haus der japanischen Kultur und dem Verwaltungsgericht (Thema Asylrecht) organisiert. Eine "Stadtrundfahrt mit türkischen Augen" war ebenso gut besucht wie ein griechisches Fest - "und bei den Gegendemonstrationen zu Pegida waren wir stark vertreten", so Personalchef Klaus Klar. Manches würden die Fahrer in ihrem Alltag ganz selbstverständlich regeln. Weihnachten übernehmen die muslimischen Fahrer mehr Schichten, dafür revanchieren sich die deutschen Kollegen während des Ramadans.

Dass viele von ihnen wissen, was Flucht und Fremdsein bedeuten, mag ein Grund für so manche Extraschicht in diesen Tagen sein. Denn seit dem 8. September transportiert die Rheinbahn im Wechsel mit der Bundeswehr Tausende Flüchtlinge, die in Düsseldorf ankommen, weiter in ihre Quartiere in ganz NRW und bis nach Hessen - pro Tag bis zu 1300 Menschen. Klaus Klar: "Viele Fahrer haben sich freiwillig gemeldet und stimmen sich per Facebook über ihren Einsatz ab."

Ortswechsel in ein Haus, in dem die Musik der Welt ihren Platz hat: die Deutsche Oper am Rhein. Weltoffenheit gehört hier zum täglichen Repertoire. "Über zwei Drittel des Ensembles kommt aus dem Ausland", berichtet Tanja Brill, Sprecherin des Hauses. Diese Solisten stammen aus Costa Rica und Taiwan, aus Brasilien und Russland, aus der Mongolei und Kanada - aus insgesamt 35 Nationen. In der Kantine, auf der Bühne, in den Probenräumen, aber auch in den Werkstätten vermischen sich die unterschiedlichen Sprachen zu einer Klang-Collage. "Ich genieße die Internationalität dieses Hauses", sagt die Co-Repetitorin Cécile Tallec.

 Kwame Brempong kam 1986 aus Ghana nach Deutschland. Er arbeitet als Busfahrer.

Kwame Brempong kam 1986 aus Ghana nach Deutschland. Er arbeitet als Busfahrer.

Foto: Rheinbahn

Die Französin, die in Paris geboren wurde - "also nur dreieinhalb Zugstunden von Düsseldorf entfernt" - spricht außer ihrer Muttersprache und Deutsch auch Englisch und Italienisch, Sprachen, die die meisten Sänger und Sängerinnen beherrschen. Sich mit ihnen problemlos verständigen zu können, ist die Basis ihrer Arbeit: Sie übt am Klavier mit den Solisten deren Rolle in szenischen Proben, achtet auf den richtigen Ton, die korrekte Aussprache, singt außerdem auch die anderen Partien - damit ein musikalischer Dialog entstehen kann. Damit spielen sie und ihre acht Kollegen, von denen übrigens nur zwei Deutsche sind - eine unverzichtbare Rolle für jeden Opernsänger. Die Pariserin, die an der "Opera Bastille" studiert hat, schätzt Düsseldorf heute weit mehr, als sie es sich bei ihrem Start an der Rheinoper hat vorstellen können. "Ich dachte, ich würde vielleicht ein Jahr bleiben." Dass sie nun schon seit 13 Jahren hier lebt und arbeitet, liegt nicht nur daran, dass sie mittlerweile mit einem Österreicher aus dem Opernchor verheiratet ist. "Ich muss gestehen, dass es sich hier angenehmer leben lässt als in Paris, die Luft ist besser, die Stadt nicht so groß und so laut, dafür viel grüner." Und ihre Arbeit an der Oper sei "anspruchsvoll und sehr interessant".

Ihr Fazit könnte auch für ein Projekt der Universität gelten, das schon seit sechs Jahren - von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt - eine beispiellose Erfolgsgeschichte schreibt: Auf dem Campus studieren 30 junge Palästinenser, Israelis und Jordanier gemeinsam "European Studies" - ein Mix aus Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Gemeinsam reisen sie auch zum Parlament in Straßburg oder besuchen Unternehmen wie Volkswagen. Große Stiftungen und private Spender finanzieren das Projekt. Der Gedanke, der dahinter steht: im gemeinsamen Alltag Verständnis für einander zu wecken. Und mehr. "Denn zum ersten Mal rücken durch diese Kontakte nun auch Kooperationen mit Hochschulen im Nahen Osten in greifbare Nähe", so Professorin Andrea von Hülsen-Esch, Pro-Rektorin für Internationales.

Mehr als 3000 ausländische Studenten in Düsseldorf

Zurzeit studieren knapp 3300 ausländische Studenten in Düsseldorf. Erste Wegweiser für den deutschen Alltag bekommen sie in einer "Welcome week", die regelmäßig vom "International Office" organisiert wird. Leiterin Anne Gellert: "Wir ermuntern sie, selbstständig zu arbeiten, was viele an ihren heimischen Unis nicht gewohnt waren." Für Wissenschaftler ist grenzenlose Zusammenarbeit selbstverständlich. Und notwendig. "Denn fast alle großen Stiftungen, die Forschung finanziell unterstützen, achten darauf, wie international ein Projekt ist", so Andrea von Hülsen Esch. Die Naturwissenschaften könnten ohne diesen Austausch "gar nicht überleben". Doch auch in den anderen Fakultäten wird der globale Blick immer selbstverständlicher. So überwindet die Wissenschaft offenbar Hürden, die durch politische Schwierigkeiten entstehen. "Wir kooperieren mehr und mehr auch mit russischen Hochschulen."

Aber mit kaum einem anderen Land werden so starke Bande geknüpft wie mit Japan. Anfang November werden sich 15 japanische Universitäten auf dem Campus vorstellen. Viele Partnerschaften existieren bereits, Studierende und Wissenschaftler aus Japan kommen längst für ein Jahr an den Rhein, nun sind weitere große Forschungs-Abkommen geplant.

Basis all dieser Verbindungen ist der Studiengang "Modernes Japan", ein Schwerpunkt an der Uni. An seiner Spitze steht eine Frau, die in zwei Kulturen zuhause ist: Michiko Mae, die seit über 30 Jahren in Deutschland lebt und gesellschaftliche Phänomene und Veränderungen in ihrer Heimat erforscht. Früher war das Leben in Japan für sie "so selbstverständlich wie die Luft, die ich atmete". Aus der Ferne aber habe sie einen geschärften Blick für die eigene Kultur und Gesellschaft entwickelt - und ihre Veränderungen. Ihr Fazit: "Wenn man zwei Heimaten hat, wird das Leben reicher. Das Fremde wird zum Eigenen, und das Eigene wird zum (vertrauten) Fremden."

(RP)
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