Neue JVA "Zu wenig Personal im Gefängnis"

Düsseldorf · Der katholische Gefänfnisseelsorger Reiner Spiegel sorgt sich um eine ausreichende Betreuung der Strafgefangenen. Die Arbeit in der neuen JVA müsse völlig neu organisiert werden. Die Kommunikation auch zwischen den Bediensteten werde schwieriger.

 Von der vertrauten Umgebung der Ulmer Höh' mit der alten Backsteinkirche muss Pfarrer Reiner Spiegel Abschied nehmen. In der neuen JVA steht für die Gottesdienste nur ein kleiner, moderner Raum zur Verfügung, den er zusammen mit den Insassen gestalten will.

Von der vertrauten Umgebung der Ulmer Höh' mit der alten Backsteinkirche muss Pfarrer Reiner Spiegel Abschied nehmen. In der neuen JVA steht für die Gottesdienste nur ein kleiner, moderner Raum zur Verfügung, den er zusammen mit den Insassen gestalten will.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Herr Spiegel, der Umzug in die neue Justizvollzugsanstalt (JVA) an der Stadtgrenze zu Ratingen ist in vollem Gang. Sind Sie in den neuen Gebäuden schon angekommen?

Spiegel Ich habe gerade die Sachen aus meinem alten Büro zusammengepackt. Dabei ergeht es mir wie bei jedem normalen Umzug: Es ist verwunderlich, was sich alles angesammelt hat und was man eigentlich wegwerfen könnte. Viele Sachen werde ich für das neue Büro sicherlich auch anders sortieren. Wie man sich in den neuen Räumen fühlt, darüber kann ich noch nichts sagen. Es wird sich erst im Alltag zeigen, wie tauglich sie sind.

Die neue JVA ist aber doch größer, moderner, heller.

Spiegel Ja, das stimmt. Aber wegen der neuen Aufteilung in den Gebäuden müssen wir die Arbeit völlig anders organisieren. Allein schon wegen der großen Entfernungen zwischen den Abteilungen. (lachend...) Wir brauchen im Grunde Rollschuhe, damit wir schnell genug sind.

Ist das nicht besser als die Enge in der Ulmer Höh'?

Spiegel Altbauten haben oft eine bessere Atmosphäre und werden deshalb geschätzt. Das zeigt eine Umfrage in der JVA Siegburg. Dort gibt es einen Alt- und einen Neubau. Die Mehrheit der Bediensteten und Insassen fühlt sich im Altbau wohler. Auch der Neubau in Düsseldorf wirkt kahl, kalt, eckig wie beispielsweise eine Autowerkstatt. Natürlich ist es dennoch vor allem für die Bediensteten angenehm, wenn sie endlich mal mehr Platz und Licht in den Büros haben. Aber im Neubau fehlt die innere Offenheit der Ulmer Höh'.

Was bedeutet das?

Spiegel Ungezwungene Begegnungen, beispielsweise mal einen Kaffee gemeinsam trinken, werden selten sein, weil anders als in der Ulmer Höh' die Abteilungen abgeschottet sind. Die Bediensteten sind voneinander getrennt, bleiben in ihrem Bereich. Wir Seelsorger werden noch am meisten herumkommen. Nicht von ungefähr hat der Leiter der JVA bereits erklärt, dass wir mehr auf Kommunikation achten müssen. Es ist aber Mist, wenn Kommunikation verordnet werden muss.

Dagegen steht aber die bessere Ausstattung der JVA.

Spiegel Es ist gut, dass die Zellen heller sind und abgeteilte Toiletten haben. Auch gibt es mehr Begegnungsräume, Sportplätze und Hallen sind größer. Aber es bleibt abzuwarten, ob sie auch genutzt werden können. Ich kenne viele neue Haftanstalten, wo solche Hallen und Plätze aufgrund von Personalmangel leer bleiben. Auch in Düsseldorf steht jetzt schon fest, dass im allgemeinen Vollzugsdienst Personal fehlt. Das neue Gefängnis ist zwar Ausdruck für den modernen Strafvollzug, der Wert auf Betreuung der Insassen legt. Aber ich bin skeptisch, ob die Bediensteten tatsächlich Zeit haben, sich mit den Inhaftierten zu beschäftigen, und nicht bloß Aktennotizen machen können.

Kommt auf Sie als Seelsorger mehr Arbeit zu?

Spiegel Das ist abzusehen, weil die Zahl der Insassen größer ist. Wir müssen sehen, wie das zu bewältigen ist. Ich hoffe, dass wir durch die ehrenamtlichen Betreuer der kirchlichen Gefängnisvereine weiterhin unterstützt werden. Ich werde versuchen, die ehrenamtlichen Helfer, die sich um die Insassen im ehemaligen Jugendhaus gekümmert haben, jetzt für die Betreuung in der JVA zu gewinnen.

Das neue Gefängnis liegt am Rand der Stadt in einem Industriegebiet. Ist das für Besucher abschreckend?

Spiegel Ich glaube nicht, dass aus diesem Grund ehrenamtliche Betreuer abspringen, obwohl mitten in der Stadt Vereine und Initiativen sich eher angesprochen fühlen, sich für Inhaftierte und deren Angehörige zu engagieren. Das hat beispielsweise der Verein Derendorfer Jonges und die Derendorfer Schützen bei der Ulmer Höh' bewiesen. Ich hoffe, dass die anderen Besucher durch das erweiterte Angebot der Rheinbahn den Weg zur JVA nicht zu beschwerlich finden. Ich persönlich halte es für besser, wenn Gefängnisse mitten in der Stadt liegen, weil sie dann ein Symbol sind: Auch Straftäter gehören zu einer Stadt und deren Gemeinschaft.

Das klingt sehr idealistisch und entspricht sicherlich nicht der Mehrheitsmeinung.

Spiegel Jeder Mensch hat Probleme im Alltag. Die Probleme von Straftätern sind unermesslich groß, ihre Schwierigkeiten sind nicht zu ermessen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass keiner aus einer intakten Familie kommt. Sie wurden von den Eltern nicht angenommen, sie haben keine Zuneigung erfahren, wurden nicht anerkannt, haben keine Beziehungen zu anderen Menschen. Die Probleme haben sie verdrängt, kamen in Abhängigkeiten von Gruppen oder von Drogen. Das gibt einen Rattenschwanz von neuen Problemen, beispielsweise Beschaffungskriminalität.

Ist es nicht zu einfach, jedes Fehlverhalten auf die schwierige Kindheit zu schieben?

Spiegel Die chaotischen Familienverhältnisse sind keine Entschuldigung, aber sie bieten eine Erklärung. Natürlich ist der Täter für sein Handeln verantwortlich. Das muss er erkennen und sich das Ziel setzen, sein Leben anders zu gestalten. Dafür braucht er unsere Hilfe.

Wie sieht die aus?

Spiegel Grundvoraussetzung ist es, den Menschen ohne Vorbehalt ernst zu nehmen, damit eine Beziehung entstehen kann. Dazu gehört auch Vertrauen, das nicht zurückgezogen wird, wenn es enttäuscht wird, wenn etwa jemand ein paar Monate nach seiner Entlassung wieder in den Knast kommt. Wenn das Vertrauen enttäuscht wurde, müssen wir eben wieder von vorne anfangen.

Sind Sie nicht frustriert?

Spiegel Nein. Die Schattenseiten und Schwierigkeiten gehören zum Leben. Das kann ich als Christ und Seelsorger akzeptieren. Denn Jesus ist für den Menschen mit seinen gesamten Eigenschaften da, auch wenn er versagt oder schuldig ist. Und ehemalige Straftäter haben es besonders schwer, weil viele mit ihnen nichts zu tun haben wollen. Wenn ich beispielsweise sehe, dass ein Entlassener nur mit einer Plastiktüte mit seinen Habseligkeiten vor dem Tor steht, Wohnung und Arbeit suchen muss, dann kann ich mir ausrechnen, dass er wieder rückfällig werden wird.

Kann dieser Kreislauf durchbrochen werden?

Spiegel Der Straftäter muss selbstbewusst werden, wenn er sein Leben ändern will. Er muss Rückschläge aushalten können und an seinem Ziel festhalten können.

Können Sie in der JVA überhaupt dafür die Grundlage schaffen?

Spiegel Persönliche Beziehungen müssen aufgebaut werden, damit Vertrauen entstehen kann. Das kann nicht erzwungen werden, meist ergeben sich aber Ansatzpunkte in beiläufigen Gesprächen. Wichtig sind auch besondere Angebote in Gruppen. Basteln oder Spielen hat sich bewährt. Es hat sich sogar eine Zeitlang eine Strickgruppe getroffen. Aber auch Meditation oder Gottesdienste sind beliebt. Die Insassen können dann mal abschalten und Abstand gewinnen.

Die neue JVA bietet mehr Räume für besondere Angebote. Werden Sie sie nutzen?

Spiegel Wir wollen nichts übereilen. Wir Seelsorger und die ehrenamtlichen Betreuer sind uns einig, erst einmal ein Jahr verstreichen zu lassen, um genau zu erkennen, was in der neuen JVA möglich und sinnvoll ist.

Sie haben keine Ideen?

Spiegel Doch, sogar eine ganze Menge. Gemeinsames Kochen könnte beispielsweise ein neues Angebot sein. Denn beim Kochen kommt man zwanglos ins Gespräch, bei gemeinsamen Mahlzeiten können Beziehungen entstehen. Auch ein Kirchenchor kann sinnvoll sein. Eine Kirchengesprächsgruppe und eine Theatergruppe könnten wieder eingerichteten werden, auch autogenes Training ist denkbar. Wir sehen den Neuanfang durch den Umzug auch als eine Chance, in der Betreuung noch einmal etwas Neues zu beginnen.

Michael Brockerhoff und Stefani Geilhausen führten das Gespräch.

(RP/ila)
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